18.02.2012 · 17:30 Uhr
Handke, kontrovers diskutiert
"Stationen, Orte, Positionen: Peter Handke": Tagung des Deutschen Literaturarchivs Marbach
Von Christian Gampert
Handkes Wut auf westliche Heuchelei und zweierlei Maß bei der Aufarbeitung des Jugoslawienkriegs ist zum Teil nachvollziehbar - nur leider ist er auf dem serbischen Auge völlig blind. Und so kamen auch die Teilnehmer der Peter Handke-Tagung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach nicht darum herum, dieses Thema zu diskutieren.
Manchmal besteht offenbar der Zwang, alte Debatten zu reinszenieren. Ein solches Ritual war jetzt bei der Peter-Handke-Tagung des Deutschen Literaturarchivs in Marbach zu beobachten: Als der Bonner Germanist Jürgen Brokoff die Positionen Handkes zum Balkan-Krieg kritisierte, fuhr der langjährige Handke-Lektor Raimund Fellinger fast aus der Haut: Brokoffs Vortrag sei "grauenhaft". Auch der Salzburger Germanist Hans Höller fühlte sich durch Brokoffs einführendes Diktum, nach der Betrachtung des Guten und Schönen im Werk Handkes komme man nun zum Politischen, missverstanden bis gekränkt: Gerade in der Verschränkung von Poesie und Politik bestehe ja Handkes große Leistung, und "das Klassische", von dem Höller zuvor in seinem Vortrag gesprochen hatte, sei für das Nachkriegskind Peter Handke eben nicht nur das Ästhetische und Anschauende, sondern eine Befreiung von "dem, was einen niederdrückt":
"Und das Merkwürdige ist, dass er die Begründung der Notwendigkeit von Klassik, des rettenden Klassischen, darin sieht, dass er sich befreien möchte aus der Vergangenheit. Der Vergangenheit, das heißt, ein armes, gedrücktes Kleinhäusler-Geschlecht, und das meint auch die Geschichte der Slowenen im Nationalsozialismus. Und das Entscheidende ist eben, dass Klassik bei ihm etwas ganz Elementares ist, was einen am Leben hält, und was die Tradition einem zur Verfügung stellt."
Brokoff, der schon im letzten Jahr in der FAZ einen scharfen Artikel gegen Handke publiziert hatte, war um Ausgleich bemüht, konzedierte Verdienste Handkes, der als Einzelner gegen den politischen Mainstream schwimme, diagnostizierte aber eine Wahrnehmungstrübung und Tendenz zur Relativierung bei serbischen Kriegsverbrechen. Handkes Illusion vom alten Jugoslawien, vom Vielvölkerstaat als Gegenmodell zum deutschen und kroatischen Faschismus, verführe den Autor zu unhaltbaren Positionen:
"Darüber hinaus könnte man darüber nachdenken, ob es nicht der Rolle eines Schriftstellers in der Mediendemokratie gut ansteht oder zupasskommt, öffentlich Skandale auszulösen mit provokanten Haltungen, um eine Debatte ins Werk zu setzen."
Diese Debatte freilich hat Handke enorm geschadet: Manche Buchhändler, so erzählte es der Kritiker Ulrich Greiner, sind offenbar stolz darauf, keine Handke-Bücher mehr zu verkaufen. Die abendliche Veranstaltung, bei der Greiner und die Autorin Sibylle Lewitscharoff über ihre Handke-Lektüren sprachen, gehörte dann zum Unterhaltsamsten, was in Marbach je stattfand. Lewitscharoff wollte die möglicherweise auch auffahrende Person Handke scharf vom großartigen Autor geschieden wissen, der dem gegenwärtigen erzählerischen "Grausamkeits-Theater" gänzlich abhold und einer "humanen Schönheit" verpflichtet sei, der dem Leser "epiphanische Sprengkapseln" verabreiche und die Welt neu denken lehre. Handke verfüge über die seltene Fähigkeit, "ein Autobahndreieck mit den Augen Adalbert Stifters zu sehen", also die Moderne mit dem Blick der literarischen Ahnen zu betrachten.
Ulrich Greiner wiederum berichtete über nächtliche Pariser Metro-Fahrten mit Handke, den "Erlösungsgedanken" in dessen Werk und seine eigene Lektüre der "Stunde der wahren Empfindung", wo aus Sonne, Kies und einer roten Haarspange eine Art rettende Aufgehobenheit entstehe. Das korrespondierte schön mit dem Vortrag von Ulrich von Bülow, der die in Marbach lagernden Notizbücher Handkes durchforstet hat und Handke als - wenngleich selektiven - Heidegger-Leser vorstellte. Die Welt der Dinge bekomme auch bei Handke eine "innerweltliche Transzendenz".
Dieses sakrale "Spiel vom Fragen" des Parzival Peter Handke aber hat bisweilen auch eine polemische Note. Die gibt es zwar schon, seit der junge Handke der "Gruppe 47" "Beschreibungs-Impotenz" vorwarf. Aber wer sich mit Handke auseinandersetzt, muss sich verletzbar machen. Er selber macht das ja auch.
"Und das Merkwürdige ist, dass er die Begründung der Notwendigkeit von Klassik, des rettenden Klassischen, darin sieht, dass er sich befreien möchte aus der Vergangenheit. Der Vergangenheit, das heißt, ein armes, gedrücktes Kleinhäusler-Geschlecht, und das meint auch die Geschichte der Slowenen im Nationalsozialismus. Und das Entscheidende ist eben, dass Klassik bei ihm etwas ganz Elementares ist, was einen am Leben hält, und was die Tradition einem zur Verfügung stellt."
Brokoff, der schon im letzten Jahr in der FAZ einen scharfen Artikel gegen Handke publiziert hatte, war um Ausgleich bemüht, konzedierte Verdienste Handkes, der als Einzelner gegen den politischen Mainstream schwimme, diagnostizierte aber eine Wahrnehmungstrübung und Tendenz zur Relativierung bei serbischen Kriegsverbrechen. Handkes Illusion vom alten Jugoslawien, vom Vielvölkerstaat als Gegenmodell zum deutschen und kroatischen Faschismus, verführe den Autor zu unhaltbaren Positionen:
"Darüber hinaus könnte man darüber nachdenken, ob es nicht der Rolle eines Schriftstellers in der Mediendemokratie gut ansteht oder zupasskommt, öffentlich Skandale auszulösen mit provokanten Haltungen, um eine Debatte ins Werk zu setzen."
Diese Debatte freilich hat Handke enorm geschadet: Manche Buchhändler, so erzählte es der Kritiker Ulrich Greiner, sind offenbar stolz darauf, keine Handke-Bücher mehr zu verkaufen. Die abendliche Veranstaltung, bei der Greiner und die Autorin Sibylle Lewitscharoff über ihre Handke-Lektüren sprachen, gehörte dann zum Unterhaltsamsten, was in Marbach je stattfand. Lewitscharoff wollte die möglicherweise auch auffahrende Person Handke scharf vom großartigen Autor geschieden wissen, der dem gegenwärtigen erzählerischen "Grausamkeits-Theater" gänzlich abhold und einer "humanen Schönheit" verpflichtet sei, der dem Leser "epiphanische Sprengkapseln" verabreiche und die Welt neu denken lehre. Handke verfüge über die seltene Fähigkeit, "ein Autobahndreieck mit den Augen Adalbert Stifters zu sehen", also die Moderne mit dem Blick der literarischen Ahnen zu betrachten.
Ulrich Greiner wiederum berichtete über nächtliche Pariser Metro-Fahrten mit Handke, den "Erlösungsgedanken" in dessen Werk und seine eigene Lektüre der "Stunde der wahren Empfindung", wo aus Sonne, Kies und einer roten Haarspange eine Art rettende Aufgehobenheit entstehe. Das korrespondierte schön mit dem Vortrag von Ulrich von Bülow, der die in Marbach lagernden Notizbücher Handkes durchforstet hat und Handke als - wenngleich selektiven - Heidegger-Leser vorstellte. Die Welt der Dinge bekomme auch bei Handke eine "innerweltliche Transzendenz".
Dieses sakrale "Spiel vom Fragen" des Parzival Peter Handke aber hat bisweilen auch eine polemische Note. Die gibt es zwar schon, seit der junge Handke der "Gruppe 47" "Beschreibungs-Impotenz" vorwarf. Aber wer sich mit Handke auseinandersetzt, muss sich verletzbar machen. Er selber macht das ja auch.
Bericht aus der Akademie
Im Dezember dieses Jahres wird Peter Handke 70. Das war dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach Anlass, einen der wichtigsten Schriftsteller der Gegenwartsliteratur mit einem Forschungstreffen unter dem Titel »Stationen, Orte, Positionen: Peter Handke« zu würdigen.
Lothar Struck, unser Fachmann für Peter Handke, war die zwei Tage vor Ort.
Zwei Tage stand Marbach für Handke-Exegeten und solche, die sich dafür halten, im Mittelpunkt. Unter dem etwas sperrigen Titel Stationen, Orte, Positionen: Peter Handke" wurde das "1. Forschungstreffen Suhrkamp/Insel" ("unterstützt durch Hubert Burda") im deutschen Literaturarchiv abgehalten. Man tagte – und stritt, und das einigermaßen heftig.
Letzteres war vorprogrammiert, hatte man doch mit Jürgen Brokoff als Referenten über die "Jugoslawien-Texte" eine Person ernannt, der Handke mutwillig missverstehend vor anderthalb Jahren als "serbischen Nationalisten" beschimpfte. (Der intellektuelle Ehrensold für diese FAZ-gemässe Attacke zeigte sich wenige Tage später in einer Hymne auf Brokoffs Buch Geschichte der reinen Poesie. Honi soit qui mal y pense). Brokoffs Vortrag am Ende des ersten Tagungstages sprengte dann auch fast wörtlich die Veranstaltung. Zum einen musste das Programm umgestellt werden, da die anschließende Diskussion (oder das, was man dafür hielt) kein Ende finden wollte, andererseits jedoch Ulrich Greiner und Sibylle Lewitscharoff zum Gespräch baten. Und zum anderen blieb die Atmosphäre für den Rest der Veranstaltung gespannt.
Da war denn schnell der Auftakt vergessen. Der anekdotisch-komödiantische Auftritt mit Hubert Burdas emphatischen Schilderungen über seine Freundschaft zu Handke und dessen Ausrasten bei der nicht ganz unberechtigten Frage, was denn nun der "Bildverlust" wirklich sei. Burda wusste wohl nichts von jener fast legendären Publikumsbeschimpfung Handkes nach einer Aufführung des "Spiels vom Fragen", in der er Anfang der 90er Jahre die Frage eines Zuschauers, worüber das Stück eigentlich handele mit rustikalen Empfehlungen ("Geht's doch scheißen!"), wüsten Beschimpfungen ("Ihr Wichte") und Handkantenschlägen gegen das Mikrophon quittierte. (Nebenbei: Man sollte ernsthaft überlegen eine Fernseh- oder Radiosendung mit dem Titel "Hubert Burda erzählt" einzurichten; dieser Mann kann einfach wunderbar Anekdoten vortragen.)
Danach begab sich Hans Höller auf eine Spurensuche zu Handke als klassischer Autor. Schließlich suchte Ulrich von Bülow in den Notizbüchern Handkes akribisch nach der Verbindung Handkes zu Heidegger und berichtete (und zeigte) Handkes Heidegger-Zitate, um dann insgesamt festzustellen: Handke zitiert und paraphrasiert den Philosophen nicht systematisch. Zwar habe er nachweislich einige Aufsätze von ihm (beispielsweise "Bauen Wohnen Denken") nebst einiger Sekundärliteratur gelesen, "Sein und Zeit" jedoch nicht (so Handke persönlich zum Referenten). Dies könne insgesamt "kaum als Einfluss" ausgelegt werden, so die These. Offen blieb dabei, ob die zuweilen dann doch gelegentlich prominent eingestreuten Termini Handkes (wie das "Verbot der Sorge" als Pablos Gesetz oder der Topos des Wohnens als Urform des Existierens im "Versuch über den geglückten Tag") nicht doch vielleicht mehr als nur Sprachspiele des Dichters sind.
Anschließend stellte Katharina Pektor die Bedeutung von Wolfram von Eschenbachs "Parzival" in Handkes Prosa als stärker als bisher angenommen heraus. Sie entdeckte "zahllose Referenzen" (u. a. auchbiografische Parallelen zwischen Handke und Eschenbach, die dann doch etwas konstruiert erschienen). Besonders konzentrierte sich Pektor auf "Die Abwesenheit" und "Das Spiel vom Fragen". Im Theaterstück gibt es nicht nur in der Figur des "Parzival" (zu Beginn eine Art eine Art hyperaktiver Kaspar Hauser; erinnernd durchaus an Handkes "Kaspar") sondern auch indirekt Nachweise zu Eschenbach-Motiven (die Figurenkonstellationen in beiden Texten). Dass ausgerechnet in diesen beiden Werke auch eine Art gesellschaftspolitischer Utopie Handkes über das Zusammenleben von Menschen steckt, blieb leider unberücksichtigt.
Die Notizbücher als Steinbruch
Bereits diese beiden Vorträge illustrierten wie die Notizbücher Handkes, aus denen die Journal-Bände zwar hervorgingen, jedoch nur ein kleiner Teil publiziert wurde (vgl. den Aufsatz von Ulrich von Bülow "Die Tage, die Bücher, die Stifte. Peter Handkes Journale" in: Profile 16, hrsg. v. Klaus Kastberger, eine neue, sprudelnde Forschungsquelle für Interpretationen geworden sind und noch sein werden. Damit rückt allerdings zwangsläufig eine bestimmte Schaffensperiode in den Vordergrund, denn zur Forschung sind bisher ausschließlich die 66 Bücher von 1975 bis 1990 freigegeben. Die späteren Notizbücher, die sich (meinen Informationen gemäß) ebenfalls bereits in Marbach befinden, sind noch "Verschlußsache". Malte Herwig, der zu Zeiten seiner Recherchen zur Biographie "Meister der Dämmerung" diese Hefte damals noch in Handkes Haus einsehen konnte, bemerkte, dass diese Aufzeichnungen neben dem bekannten Werkstattcharakter auch private und intimere Passagen ausweisen und womöglich fast eine andere Kategorie darstellen. Philologisch interessant sind sie vor allem deswegen, weil in diesem Zeitraum die als Jugoslawien-Texte apostrophierten Bücher entstanden sind und sich sicherlich zahlreiche "ungefilterte" Eindrücke und Reflexionen der diversen Reisen Handkes finden lassen würden.
Wie vermint der Umgang mit dem Serbien-Engagement Handkes ist, zeigte der Vortrag von Jürgen Brokoff, der von einigen Teilnehmern verblüffenderweise als "ausgewogen" bezeichnet wurde. Dabei verstand es Brokoff meisterhaft, Zitate von Handke zu entkontextualisieren und zu Sklaven seiner These zu machen: Er, der Dichter, sei mit seiner "Medienkritik" (die in Wahrheit natürlich eine Sprachkritik ist – was Brokoff unzulässig vermengt) dann doch übers Ziel hinausgeschossen, so die Quintessenz (durchaus in richterlichem Gestus vorgebracht). Zwar findet Brokoff (leicht gönnerhaft attestiert) diskussionsfähige "Ansätze" in den "Texten", aber etliche Male fiel dann das präjudizierende Füllsel "problematisch" – ohne dieses "Problematische" konkret zu benennen. Das war zwar insgesamt besser als seine Beschimpfungen ad hominem vom Sommer 2010 (s. o.), aber auch perfider, weil er oft genug das verschwieg, was den Zitaten vor- oder nachgeordnet war.
»Grauenhaft«
Die ganze Dimension des politischen und auch gesellschaftlichen Sehnsuchtsraums Jugoslawien für Handke ignorierte Brokoff alleine schon dadurch, dass er in seiner Aufzählung der inkriminierten Texte weder "Die Wiederholung" (1986) noch "Zurüstungen für die Unsterblichkeit" (1997) und auch das Partisanendrama "Immer noch Sturm" (2010) nicht aufnahm. Ohne diese Bücher ist der Komplex Peter Handke und Jugoslawien jedoch nur unvollständig erfasst.
Durchaus zutreffend warf Raimund Fellinger, Handkes Lektor, Brokoff "Insinuationen von Insinuationen" vor. So legte Brokoff unter anderem den Schluss nahe, dass Handke die (serbische) These vom "Rachemassaker" in Bezug auf Srebrenica dahingehend akzeptiert habe, in dem er den Ort der Verbrechen an der serbischen Bevölkerung durch bosniakische Truppen Jahre zuvor um Kravica herum aufsuchte und dort Einheimische befragte. Warum sei Handke nach Kravica gefahren, fragte Brokoff sinngemäß – und lud ein zum Frageergänzungsspiel: "…und nicht nach Srebrenica?" Dabei war Handke mehrmals in Srebrenica (und hat hierüber in zwei Reisebüchern Zeugnis gegeben) und vielfach (sowohl in seinen Büchern als auch in Interviews) die Abscheulichkeit des Völkermordes von Srebrenica betont. Dabei lehnte er definitiv und eindeutig Rache als "Milderungsgrund" rundweg ab (vgl. "Sommerlicher Nachtrag", S. 84).
Weiter nahm Brokoff aufgrund der Szene in den "Tablas von Daimiel", als Handke sich an einen Aufenthalt 1996 im Kosovo erinnert und dort die Augen der Passanten auf sich ausmachte, als Beleg für ein anti-albanisches Ressentiment des Dichters. Unerwähnt bleibt aber zum einen, dass Handke erzählt, wie er in einem Café nicht bedient wird, weil er eine Belgrader Zeitung "zusammenbuchstabierte" und somit als "Serbe" gilt (und dies – nebenbei – als seinen Fehler ausgibt). Und zum anderen wie der Dichter sein Gefühl selber als Paranoia quantifiziert (vgl. "Die Tablas von Daimiel", S. 45-48).
Saubere Textarbeit sieht deutlich anders aus. Aber diese scheinbar so nebensächlichen Details (wie man mir freimütig bekannte) spielten dann in der Diskussion (leider) keine Rolle, was vor allem dem "grauenhaft" von Raimund Fellinger geschuldet sein dürfte, denn von nun an gerierte sich Brokoff als verletzte Seele. In der Boxersprache nennt man das wohlGlaskinn.
Blaue Pilze und Spatzen
Wohltuend dann eine Stunde später das Gespräch zwischen Ulrich Greinerund Sibylle Lewitscharoff, angenehm unaufdringlich moderiert von Jan Bürger. Greiner trug einiges Anekdotische bei (beispielsweise die Zubereitung eines Pilzgerichts durch Handke mit einem blauen Pilz, wobei Greiner kurzfristig befürchtete, der Dichter könnte sich eines vielleicht unliebsamen Kritikers auf diese Art und Weise entledigen) und Lewitscharoff zeigte sich als kenntnisreiche Handke-Leserin mit "großzügiger Treue". Sie schwärmte für seine Spatzenbilder und lobte die "epiphanische Sprengkraft" der Handke-Bilder. Es sei als würde man "mit Stifter auf ein Autobahndreieck schauen". Mit den sogenannten Jugoslawien-Texten kann sie nichts anfangen und vertritt hier eine konträre Position. Greiner erklärte, dass er nach dem famosen "Immer noch Sturm" mehr Verständnis für Handkes Position entwickelt habe. Für einen schönen Schluss der Veranstaltung sorgte dann die Wortmeldung einer Zuhörerin, die mit wohlgeformten, emphatischen (aber nicht pathetischen) Worten von der "Versprachlichung" des Dichters schwärmte und damit für ein paar Sekunden das ganze Auditorium bannte.
Religion oder Spiritualität?
Am zweiten Tag musste der ausgefallene Beitrag von Stephan Sattler über Handke und den Petrarca-Preis noch nachgeholt werden. Es wurde ein heiterer und launiger Vortrag. Tim Lörkes Text über "Dauernde Augenblicke. Sinnstiftende Zeiterfahrungen bei Peter Handke" war außerordentlich gelungen, seine Äußerungen über Handkes "Dauer", dem dauernden (aber dann doch ephemeren) Augenblick und den Erfahrungen damit und dem dann entstehenden (oder voraussetzenden) "Bei-Sich-Sein" insbesondere anhand des Apothekers von Taxham aus dem in der Forschung erstaunlich wenig berücksichtigten Buch "In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus" (1997) waren sehr instruktiv und in sich schlüssig. Schön, dass es dies ohne Jargon gelang. "Das Dasein ist groß", so zitierte Lörke aus dem "Felsfenster"-Journal die fast programmatische Welteroberung und "zögerliche Mystik" des Protagonisten/Dichters, wobei er dann später nach einer Frage von Ulrich Greiner Handke vielleicht etwas zu apodiktisch als einen "sehr religiösen Autor" bezeichnete. Diesem Urteil widersprach dann später auch Tanja Kunz in ihrem Beitrag, wobei ich dieses Dementi fast als einziges aus ihrem Vortrag sicher verstanden habe (was freilich am Empfänger liegt/lag).
Studien am und mit dem lebenden Subjekt
Der Handke-Biograph Malte Herwig schilderte aufschlussreich und im wahrsten Sinne des Wortes hemdsärmelig die Problematik, am "lebenden Subjekt" eine Künstlerbiographie zu schreiben. Er erzählte von seinen Aufenthalten in Handkes Haus, den schmackhaften Pilzgerichten und den Spaziergängen des Schriftstellers, der den Biographen alleine in Notizbüchern und Manuskripten zurückließ (die Handke schließlich in "geschickter Erbteilung" als "Vorlass" vergeben habe). Herwig betonte die Authentizität Handkes, die zwar nicht vor einem Posieren haltmacht, aber niemals etwas darstellt, was nicht seinem Wesen entspricht. Dabei verglich er die Stilisierung des Dichters als Dichter am Beispiel der Darstellung der Hände von Thomas Mann und Lillian Birnbaums Bild von Handkes Händen beim Pilzeputzen im 2011 publizierten Band "Peter Handke – Portrait des Dichters in seiner Abwesenheit".© Foto: Lillian Birnbaum
Und man spürte Herwigs Achtung vor Handkes Konsequenz in Sachen Jugoslawien/Serbien-Engagement, dem Ertragen der (vorhersehbaren und von den Freunden prognostizierten) unerfreulichen Nebenwirkungen. Noch heute gibt es Buchhändler, die stolz sind, keine Bücher von Handke mehr zu verkaufen. Diese Kette der Schrebergartenressentiments lässt sich leicht erweitern: So annullierte man in Schloß Elmau die Einladung zu einer Lesung aus der Handke-Biographie stiekum (vermutlich leckte man noch die Wunden von Peter Sloterdijks "Menschenpark"-Vortrag 1999). Und die jüngste Posse um den Candide-Preis ist ja durchaus noch präsent.
Und man spürte Herwigs Achtung vor Handkes Konsequenz in Sachen Jugoslawien/Serbien-Engagement, dem Ertragen der (vorhersehbaren und von den Freunden prognostizierten) unerfreulichen Nebenwirkungen. Noch heute gibt es Buchhändler, die stolz sind, keine Bücher von Handke mehr zu verkaufen. Diese Kette der Schrebergartenressentiments lässt sich leicht erweitern: So annullierte man in Schloß Elmau die Einladung zu einer Lesung aus der Handke-Biographie stiekum (vermutlich leckte man noch die Wunden von Peter Sloterdijks "Menschenpark"-Vortrag 1999). Und die jüngste Posse um den Candide-Preis ist ja durchaus noch präsent.
Frische Frageluft
Die jüngere Handke-Forschung vertraten Christian Luckscheiter undDominik Srienc. Luckscheiter ("Der Ursprung der Erzählung aus der Faszination für den Ort"), der etwas additiv, aber durchaus erhellend, Bombentrichter sehr häufig als Orte in Handkes Prosa (verbunden mit Kriegs- und Gewaltbildern) ausmachte, dabei jedoch nicht ausreichend berücksichtigte, wie Handkes "Trauma" des Bombenkrieges (vgl. Malte Herwigs Biographie) hier hineinspielt. Nach der souveränen und unprätentiösen Museumsführung in Sachen Handke durch Heike Gfrereisging es mit dem sehr gut belegten Beitrag von Dominik Srienc weiter, der von der Entstehungsgeschichte des "Versuchs über die Müdigkeit" (1989), dem ersten Manuskript, das Handke vollständig mit Bleistift geschrieben hatte, berichtete. Srienc präsentierte nicht nur die Malereien, die Handke in den vorbereiteten Texten anspricht und die ihn inspiriert hatten, sondern er spielte sogar ein adäquates Youtube-Video ein um den spanischen Osterlärm, den Handke in den Notizbüchern erwähnt, zu demonstrieren. Was für eine gute Idee!
Den Vortrag über das Handke-Forschungsprojekt an der österreichischen Nationalbibliothek habe ich (leider) genauso verpasst wie Raimund Fellingers Bericht über Handkes Briefwechsel mit Siegfried Unseld. Hier erzählte man mir dann von einem weiteren kleinen Eklat. Als Fellinger Malte Herwig indirekt eine Fehlinterpretation des (sogenannten) "Wutbriefes" von Handke an Unseld vorwarf (Handke wollte die Zusammenarbeit mit dem Verlag wegen einer Widmung von Marcel Reich-Ranicki an Unseld aufkündigen; vgl. "Meister der Dämmerung", S. 291ff) und damit indirekt dessen Arbeitsmethode insinuierend angriff, konterte dieser mit der Frage, warum er, Fellinger, als einziger (neben Jeanne Moreau) seine Biographie boykottiert habe. (Herwig hatte mehrfach – ergebnislos - um Einblick in die Korrespondenz gebeten.) Mit dieser frischen "Frageluft" ("Das Spiel vom Fragen") nicht unbedingt rechnend, fand Fellinger dann prinzipielle Gründe und äußerte seine Befürchtung, den Kontext dann nicht mehr "unter Kontrolle" zu haben.
Naja, immerhin gibt es einen Grund zur Freude: Im Herbst erscheinen dann die Briefe. Aus kontrolliertem Abbau, sozusagen. Lothar Struck
Dank an Lillian Birnbaum für die Genehmigung der Verwendung des Bildes aus ihrem Buch: "Peter Handke. Portrait des Dichters in seiner Abwesenheit", Müry Salzmann-Verlag. © Lillian Birnbaum http://www.glanzundelend.de/Artikel/abc/h/handke_marbach.htm