Thursday, January 25, 2018

Katharina Pektors Katalog zur neukonzipierten Peter-Handke-Ausstellung in Griffen/Kärnten

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http://peter-handke.de/kosmos/leserinnen-leser/

Das weitverzweigte Werk

Katharina Pektors Katalog zur neukonzipierten Peter-Handke-Ausstellung in Griffen/Kärnten
Hamburg
Peter Handke Kosmos heißt die neue Website, die der Suhrkamp Verlag anlässlich des 75. Geburtstages seines Hausautors eingerichtet hat. Darauf kann man sich assoziativ durch Schlag- und Stichworte aus Handkes Gesamtwerk klicken, bekommt kurze Erklärungen, Textauszüge, Audio- oder Videoausschnitte zu „Niemandsbucht“, „Beschreibungsimpotenz“ oder „Pilze“ angezeigt. Ein Kosmos, der dem treuen Lesekreis bekannt sein dürfte; ein Kontinent, der dazu einlädt – ganz im Sinne des Autors – immer wieder lohnend neu entdeckt zu werden. Und das nicht zuletzt deswegen, weil der „Kosmos“, um in dieser Gesamtwerksmetapher zu bleiben, von Handke stetig fortgeschrieben wird.
Diese Fortschreibung ist, neben dem halbrunden Geburtstag im vergangenen Dezember, sicher einer der Gründe dafür gewesen, die Peter-Handke-Ausstellung zu Leben und Werk in seinem Heimatort Griffen in Kärnten nach fünf Jahren (und insgesamt zehn Jahren ihres Bestehens) nicht nur ein weiteres Mal zu erneuern, sondern gleich völlig neu zu konzipieren. Die dafür verantwortliche Kuratorin, die Wiener Literaturwissenschaftlerin Katharina Pektor, hat dafür eine beeindruckend umfangreiche Arbeit geleistet. Davon zeugt über die Ausstellung hinaus der von ihr herausgegebene Begleitkatalog, der in Handkes Salzburger „Zweitverlag“ Jung und Jung erscheint.
Mit zahlreichen Fotografien, Faksimiles von Manuskripten und Briefen, Zeittafeln sowie Essays zu einzelnen Aspekten des Gesamtwerkes geht der Katalog weit über seine Funktion als Begleitbuch zur Ausstellung hinaus. Pektor hat hier vielmehr ein Buch zusammengestellt, das ohne Übertreibung als eine Art Handke-Enzyklopädie gelten kann. Kein wissenschaftliches Handbuch, aber doch ein detailliertes und dennoch übersichtlich aufgemachtes Nachschlagewerk zu Biografie, Werkphasen und Arbeitsweisen des Österreichers.
Beeindruckend ist dabei der weitverzweigte Stammbaum Handkes, dem eine aufwändige Recherchearbeit zugrunde liegen muss und der mit zahlreichen Fotografien unterlegt ist. Bisweilen fragt man sich, ob man es so genau überhaupt wissen muss. Bei der aufmerksamen Lektüre der Artikel zu den einzelnen Büchern Handkes wird aber deutlich, welche enorme Rolle der biografische Rückgriff auf die Familienmitglieder tatsächlich spielt; welchem/r fiktionalisierten Ahn/in welche Figur in welchem Buch zukommt. Die einzelnen Werkartikel geben zudem einigen Aufschluss über Entstehungszeit, -kontext, Lektorat, Erstveröffentlichung etc.
Mit besonderem Gewinn liest man die im Katalog versammelten Essays von Wegbegleitern (u.a. Michael Krüger und Žarko Radaković) und Handke-Kennern. Hier sind vor allem Hans Höllers Handkes Kunst des Erzählens und Thorsten Carstensens Peter Handke und die Romanik zu nennen. Beide Essays verdeutlichen knapp und anschaulich wesentliche Merkmale in Handkes Schreiben bzw. seiner individuellen Art der Kulturrezeption. So betont Höller die Bedeutung eines von Handke in einem Brief an seine Mutter beschriebenen Traums aus dem Jahr 1963.
„Es ist der Traum von der Desertion aus dem Krieg, den er in den Roman [Die Hornissen, 1966] aufgenommen hat, der Wunschtraum von der Heimkehr ihrer beiden im Krieg gefallenen Brüder Gregor und Hans. Dieser Desertions-Traum, der Bruch des Kriegsgesetzes als das Tiefenmuster von Handkes Schreiben, dürfte jenes »Wissenswürdige im Innern« seiner Werke bilden, von dem Walter Benjamin sagte, das es die Voraussetzung einer Schönheit sei, die dauere. Aber das »nicht sterben im Krieg«, »gehen«, »zurückkehren«, sie werden zu den Grundmotiven seines rettenden Erzählens bis heute.“
Warum Handkes Vorliebe für die Romanik integraler Bestandteil dieses „rettenden Erzählens“ ist, verdeutlicht Carstensen, wenn er schreibt:
„Im Gegensatz zu den gotischen Figuren, die sich bereits individuell gebärdeten, strahlten die romanischen Pendants noch eine überpersönliche Ruhe, Anmut und Hingabe aus – und gerade diese Qualitäten sind es, die Handke in den Alltag hinüberzuretten sucht. Vor allem transportieren die romanischen Szenen Augenblicke der intensiven Teilhabe und wahren Empfindung, nach denen sich seine Erzähler-Ichs so sehnen: So wird das Romanische zu einem wesentlichen Kern jenes Heilsprogramms, das Handkes Texte in ihrer oft ironischen Selbstreflexivität zur Diskussion stellen.“
Was in Pektors Katalog und folglich in der Ausstellung fehlt, ist eine Darstellung der Rezeption von Handke und seinem Werk. Und somit fehlen vor allem die kritischen Töne in der Betrachtung des mitunter streitbaren Schriftstellers, der dennoch oder gerade deshalb zu den einflussreichsten deutschsprachigen Autoren seiner Zeit zählt. Aber vielleicht werden die Urteile bewusst den Besuchern der Ausstellung, den Lesern des Katalogs überlassen, die dank Katharina Pektors Arbeit Handke entdecken und  neu entdecken können.

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