Peter Handkes "Publikumsbeschimpung". Ein Skandalwerk,
betrachtet aus dem 21. Jahrhundert
Seminararbeit, 2015, 12 Seiten
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2
Inhalt
1.
Einleitung ... 3
2.
Allgemeines zum Werk ... 4
2.1
Entstehungskontext ... 4
2.2
Ablauf & Inhalt ... 5
3.
Brechts episches Theater ... 5
4.
Handkes frühe Poetik ... 7
5.
Auswirkungen auf die Theaterwelt ... 9
6.
Fazit/Abschluss ... 11
7.
Literaturangaben ... 12
7.1
Primärliteratur ... 12
7.2.
Sekundärliteratur ... 12
7.3.
Internetquellen ... 12
3
1.
Einleitung
Peter
Handke gilt als einer der wichtigsten und einflussreichsten, aber auch
umstrittensten
Autoren
der Gegenwartsliteratur. Immer wieder sorgte er für Kontroversen. Das
prominenteste
Beispiel dafür war sicherlich sein Engagement im Jugoslawien-Krieg und
seine
Prosa aus dieser Zeit, wie das Essay "Abschied des Träumers vom Neunten
Land"
von
1991. Seinen ersten großen Erfolg erlangte er allerdings bereits 1966 mit der
Uraufführung
seines Bühnenstücks
Publikumsbeschimpfungen
.
Dabei geht es nicht nur um
das
"sich auflehnen" gegen die Wiederholung von bereits Dagewesenem, er
konstituiert
damit
auch seine eigene, ganz neue Poetik. Handke versucht, die Theaterwelt in
anderes
Licht
zu setzen und alte Muster zu durchbrechen. Aus damaliger Sicht war dieser
Ansatz
revolutionär
und im Zusammenspiel mit seinem wirkungsvollen Auftritt in Princeton bei der
Tagung
der Gruppe 47 im gleichen Jahr, bei dem er die
"Beschreibungsimpotenz" der
alteingesessenen
Schriftsteller kritisiert, begründet dieses erste Bühnenstück seinen
kometenhaften
Aufstieg. Und entgegen aller Erwartungen hat sich
Publikumsbeschimpfung
innerhalb
kürzester Zeit zu einer Art Publikumshit und Kassenschlager entwickelt. Denn
obwohl
es sich um eine Art Beschimpfung handelte, strömten die Zuschauer ins Theater.
Das
spricht dafür, dass Handke damit wirklich den Nerv der Zeit traf. In dieser
Zeit, kurz vor
den
Protesten der 68er-Bewegung, waren vor allem junge Zuschauer begeistert von
dieser
Art,
die alten Muster zu durchbrechen, sich von den Generationen vor Ihnen zu
unterscheiden
und neue Wege zu gehen.
Im
Folgenden soll dieses Werk nun erneut betrachtet werden. Da es sich damals auch
gegen
das epische Theater Bertolt Brechts wendete, sollen auch die Eckpfeiler von
Brechts
Auffassung
vom Theater noch einmal untersucht werden, um Handkes Kritik und seine
Lösungsansätze
in einen Kontext zu setzen.
Das
abschließende Ziel dieser Arbeit soll es sein, herauszufinden, ob Handkes Ansätze
und
Kritik
fast 50 Jahre nach der Uraufführung von
Publikumsbeschimpfung
noch
gleich relevant
und
aktuell sind.
4
2.
Allgemeines zum Werk
2.1
Entstehungskontext
Zum
Entstehungszeitpunkt des Sprechstücks
Publikumsbeschimpfung
war
Peter Handke
zum
Studium der Rechtswissenschaften in Graz inskribiert und studierte auch aktiv.
In
einem
Fernseh-Interview mit Friedrich Luft 1969 sagt er, er habe das Jus-Studium in
Graz
vor
allem deshalb angefangen, weil es in Graz billiger war und er gehört hatte,
neben dem
Studium
bliebe genug Zeit, zu schreiben
1
.
Seinen Roman
Die
Hornissen
hatte
er zu diesem
Zeitpunkt
bereits beendet. Durch sein Verhältnis mit der Schauspielerin Libgart Schwarz
kam
Handke um 1965 herum verstärkt in den Wirkungskreis des Theaters. Außerdem war
er
im
Forum Stadtpark aktiv. Handke sagt zu seinem Einstieg in die Theaterwelt später
in einen
Interview
mit dem FOCUS-Magazin:
"
Zum
Theater bin ich eigentlich ganz naiv gekommen. Siegfried Unseld, der meinen
ersten
Roman
,,Die Hornissen" angenommen hatte, hat gesagt: Davon können Sie nicht
leben, mit
Stücken
können Sie Geld verdienen.
"
2
Je
mehr er sich jedoch mit dem Theater und dem Schreiben von Stücken beschäftigte,
desto
resignierter
wurde er. Er war genervt davon, wie gespielt wurde und davon, wie im Theater
Natürlichkeit
vorgetäuscht wurde.
3
Zur
gleichen Zeit schrieb Handke neben dem Studium auch Buchbesprechungen für die
Literatursendung
"Bücherecke" des Österreichischen Rundfunks im Landesstudio
Steiermark.
Unter anderem wurden auch zeitgenössische Dramentexte besprochen, man
kann
also hier einen weiteren Anstoß für Handkes Einstieg in die Theaterwelt sehen.
Handke
schloss die Schaffensphase des Stückes im Herbst 1965 ab und übergab es im
November
an seinen Verleger Siegfried Unseld. Es fanden sich sofort Fans des Stückes im
Verlag
und es wurden ihm gute Aufführungschancen eingeräumt. Dennoch dauerte es
einige
Zeit, bis sich ein Theater fand, dass die Uraufführung der
Publikumsbeschimpfung
wagte.
Viele Theater wollten wohl das Wagnis nicht eingehen, ihr Stammpublikum zu
verärgern.
Uraufgeführt wurde
Publikumsbeschimpfung
schlussendlich
am 8.6.1966 im
1
Vgl.
Friedrich Luft: Das Profil: Peter Handke - Gespräch mit Friedrich Luft.
München: Bayrischer
Rundfunk
Alpha 1969 URL:
https://www.youtube.com/watch?v=fMPW00m_gZc
(26.8.2015)
2
Andres
Mühry, Stefan Sattler: In den Rätseln bleiben!. In: FOCUS Magazin/7: 2007 URL:
http://www.focus.de/kultur/buecher/kultur-in-den-raetseln-bleiben_aid_227012.html
(26.8.2015)
3
Vgl.
ebda
5
Theater
am Turm Frankfurt im Rahmen des Theaterfestivals Experimenta 1. Die Regie
führte
Claus Peymann.
4
2.2
Ablauf & Inhalt
"
Sie
werden kein Schauspiel sehen. Ihre Schaulust wird nicht befriedigt werden. Sie
werden
kein
Spiel sehen. Hier wird nicht gespielt werden. Sie werden ein Schauspiel ohne
Bilder
sehen.
"
5
Diese
Zeilen finden sich im Eingangstext des Stückes. Zu diesem Zeitpunkt spätestens
muss
einem aufmerksamen Publikum auffallen, dass es kein Theaterstück in
konventionellen
Sinn zu sehen bekommen wird. Vier Schauspieler stehen auf der Bühne, sie
tragen
sehr legere Kleidung, es gibt keine Requisiten, keine Handlung. Das Licht im
Zuschauerraum
brennt, die Schauspieler blicken die Gäste direkt an. Die Schauspieler
richten
während der gesamten Aufführung das Wort an das Publikum. Der Text kann als
eine
Art choreographisch einstudierter Sprechgesang bezeichnet werden. Immer wieder
sprechen
die 4 Schauspieler im Chor, durcheinander, gegeneinander oder Sie wechseln
sich
ab, nach jeden Satz, nach jedem Wort. Zwischendurch begeben die Schauspieler
sich
in
den Zuschauerraum, verteilen sich und sprechen das Publikum damit noch direkter
und
näher
an.
Die
tatsächliche "Beschimpfung" beginnt aber erst in den letzten 10
Minuten des Stückes.
Und
dann endet das Stück sehr abrupt, mit den Worten "
Sie
waren hier willkommen. Wir
danken
Ihnen. Gute Nacht.
"
6
3.
Brechts episches Theater
Handkes
frühe Theorie des Theaters, zu finden im wissenschaftlichen Aufsatz
Ich
bin ein
Bewohner
des Elfenbeinturmes
von
1967, setzt sich mit dem damaligen Theater
4
Vgl.
Katharina Pektor: Publikumsbeschimpfung - Enstehungskontext. In:
Handkeonline.onb.ac.at
URL:
http://handkeonline.onb.ac.at/node/296
(27.8.15)
5
Peter
Handke: Publikumsbeschimpfungen und andere Sprechstücke. Frankfurt am Main:
Suhrkamp
2012,
S.15
6
ebda,
S.48
6
auseinander.
Er bezieht vorallem Bertolt Brechts episches Theater in seine Ausführungen
mit
ein.
"
Die
Geschichten auf der Bühne gingen mich nichts an, sie waren, statt einfach zu
sein,
ständig
nur Vereinfachungen
."
7
Als
ein Relikt aus vergangenen Zeiten sei Ihm das Theater vorgekommen und er
erklärt
auch,
dass er deshalb früher nie gedacht habe, überhaupt jemals Bühnenstücke zu
schreiben.
8
Brechts
episches Theater war seinerzeit eine große Neuerung. Es verbindet zwei
Literaturgattungen
und stellte einen Gegensatz zum aristothelischen Theater der fünf Akte
dar.
Brechts Intention war es, die Zuschauer des Theaters zum Nachdenken anzuregen.
Er
zeigt
dem Theaterbesucher unverständliche Handlungsmuster und Widersprüche. Es gibt
keine
Einfühlung in die Figur, nur mit Denkarbeit soll der Zuschauer zu einer eigenen
Erkenntnis
und Meinung kommen.
9
Ein
wichtiger Bestandteil des Brechtschen Theaters ist der Verfremdungseffekt.
Brecht war
der
Meinung, durch die Einbindung epischer Elemente in ein dramatisches Stück
"lehrhafte
Tendenzen"
hervorrufen zu können. Dabei soll das Theater trotzdem Theater bleiben und
weiterhin
ein Bedürfnis nach Vergnügen trotzallem befriedigen. Stoffe und Vorgänge
müssten
einem Entfremdungsprozess ausgesetzt werden und eine Einfühlung in die
dramatischen
Personen sollte vermieden werden. Viktor Sklovskijs Begriff von der
"Verfremdung"
kommt ihm gelegen. Er schreibt, Verfremdung sei eine Darstellung, durch die
"das
Geläufige auffällig, das Gewohnte erstaunlich" werde.
10
Die
Verfremdung ist durch verschiedene Maßnahmen in der Textvorlage und in der
Theaterpraxis
zu erzielen. Der Schauspieler soll sich dabei nicht mit seiner Rolle
identifizieren
und dadurch auch die Identifizierung des Zuschauers mit der Figur verhindern,
er
bewahrt Distanz zu seinem Text. Der Schauspieler selbst soll im epischen
Theater
Stellung
zum gezeigten Vorgang nehmen und damit das Publikum zur kritischen Reflexion
animieren.
Illusionistische Wirkungen sollen vermieden werden und die "vierte
Wand" wird
niedergerissen,
um den "Schein von Unmittelbarkeit und realer Präsenz des Geschehens"
7
Peter
Handke: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms. Aufsätze. Frankfurt am Main:
Suhrkamp
1972,
S.27
8
Vgl.
ebda, S.27
9
Vgl.
Jan Hajer: Episches Theater. URL:
http://hajer.com/unterricht/deutsch/gattungen/drama/episches_theater.htm
(29.8.15)
10
Vgl.
Klaus-Detlef Müller: Bertolt Brecht. Epoche - Werk - Wirkung. München: C. H.
Beck 2009, S.
121f.
7
zu
durchbrechen. Der Zuschauer soll nicht passiv sein und das Schauspiel
nachempfinden,
sondern
aktiv das Gezeigte kritisch einschätzen.
11
Der
Gebrauch von Kulissen im epischen Theater ist sehr sparsam, manchmal werden
Masken
eingesetzt oder eine Inhaltsangabe wird vor der Szene von einem der
Schauspieler
vorgelesen.
Manchmal richten sich die Schauspieler direkt an das Publikum. Dennoch bleibt
der
Schein des Theaters gewahrt.
In
der Textvorlage gibt es, um den Verfremdungseffekt zu erzielen, oft keinen
linearen
Handlungsverlauf.
Die Szenen stehen für sich und nicht "nacheinander", oft sind sie
sogar
untereinander
austauschbar. Dabei wird die Handlung in örtlicher und/oder zeitlicher Distanz
dargestellt.
Des Weiteren bedient sich der Autor meist einer Art Satire gegen die Obrigkeit
und
gibt dieser der Lächerlichkeit Preis.
Das
epische Theaterstück endet auch häufig mit einem offenen Schluss, um einmal
mehr
dem
Zuschauer Raum für eigene Überlegung zu geben. Das letztendliche Ziel des
epischen
Theaters
ist es, Konflikte um z.B. Kriege, Revolution, soziale Ungerechtigkeit und
Ökonomie
für
den Zuschauer durchschaubar zu machen. Der Zuschauer soll den Willen
entwickeln, die
Gesellschaft
zum Besseren zu verändern.
12
4.
Handkes frühe Poetik
Einer
der interessantesten Aspekte der frühen Handke-Werke ist vielleicht, dass er
mit einer
Reihe
von Aufsätzen (
Ich
bin ein Bewohner des Elfenbeinturms
,
erschienen 1968) sein
Vorgehen
und seine Methodik selbst erklärt.
Den
ersten Angriffspunkt für seine Kritik an der zeitgenössischen Literatur findet
Handke im
Realismus.
In seinen Essays spricht er dem Realismus vor allem den allgemein anerkannten
Wahrheitsanspruch
ab. Während der Realismus zunehmend die Wahrheit für sich
beansprucht
und vergisst, dass er nur eine Methode ist, sieht Handke realistisches
Schreiben
als eine von vielen literarischen Möglichkeiten, Natürlichkeit und Wirklichkeit
darzustellen.
Handkes
frühe Werke richten sich also gegen die falsche Natur des Schreibens.
13
11
Vgl.
Klaus-Detlef Müller: Bertolt Brecht. Epoche - Werk - Wirkung. München: C. H.
Beck 2009,
S.122
12
Vgl.
Jan Hajer: Episches Theater. URL:
http://hajer.com/unterricht/deutsch/gattungen/drama/episches_theater.htm
(31.8.15)
13
Vgl.
Kastberger, Klaus: Lesen und Schreiben. Peter Handkes Theater als Text. In:
Ders. / Pektor,
Katharina
(Hg.): Die Arbeit des Zuschauers. Peter Handke und das Theater. Salzburg/Wien:
Jung und
Jung
2012, S.35
8
Etwas
weniger explizit zieht sich diese Idee Handkes durch sein gesamtes Werk. Er
schreibt
gegen
etwas Falsches, Anderes; gegen Methoden, die mit unreflektierten, immer
gleichen
Mustern
arbeiten. Er richtet sich beständig gegen die Wahrheitsansprüche dieser Methoden,
sei
es in der Politik, der Geschichte oder auch in den Medien.
Handke
erlegt sich daher eine Art Programm auf, das Programm der kontinuierlichen
Neuerung.
Er will jede Methode des Schreibens nur ein einziges Mal verwenden. Seine
Gründe
legt Handke im Essay
Ich
bin ein Bewohner des Elfenbeinturms
ziemlich
deutlich
dar:
"
Wenn
die Methode so sehr abgebraucht - d.h. natürlich geworden ist, daß mit ihr das
Trivialste,
das allseits Bekannte - nur neu `formuliert' - wieder gesagt werden kann, dann
ist
sie
zur Manier geworden
[...]"
14
Er
ist überzeugt, dass eine Methode nach der ersten Verwendung bereits verbraucht
ist und
nicht
mehr in der Lage, Neues zu schaffen. Handke umschifft damit die
"Beschreibungsimpotenz",
die er all denen vorwirft, die sich über Jahre hinweg in der
Methode
des realistischen Schreibens verfangen haben. Auch wehrt sich Handke vehement
gegen
die Fiktion und will sie aus seinen eigenen Stücken fern halten. Es soll mehr um
die
Mitteilung
von sprachlichen und nicht sprachlichen Erfahrungen gehen, dazu werde eine
Geschichte
nicht mehr benötigt.
15
Es
ist daher nur konsequent, dass
Publikumsbeschimpfung
so
völlig frei von Handlung ist.
Nicht
ohne Grund wird es oft eher als Sprechstück, denn als Theaterstück bezeichnet.
Die
"falsche
Wirklichkeit" ist es, die seine Kritik im Theaterkontext besonders auf
sich zog. Der
Bühnenraum
und seine Bedeutung blieben im zeitgenössischen Theater unreflektiert. Auch
Brechts
Versuch der Desillusionierung scheint Handke nicht geeignet, denn auch hier
sind
erst
Illusionen, also Fiktion, nötig, um zur Desillusionierung zu kommen. Brecht
täusche
Wirklichkeit
vor, wo Fiktion sei.
16
In
Publikumsbeschimpfung
testet
Handke daher seine erste Methode: die komplette
Verneinung
aller bisherigen Methoden. Das Stück hat keine Handlung, keine Figuren, keinen
Bedeutungsraum
"Bühne", keine Kulissen oder Kostüme, selbst die Schauspieler treten
nicht
wirklich
als Schauspieler auf. Das Geschehen findet nicht nur auf der Bühne statt,
vielmehr
ist
es eine Art Kommunikation mit dem Publikum. Der Bühnenraum wird gar nicht erst
14
Peter
Handke: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms. Aufsätze. Frankfurt am Main:
Suhrkamp
1972,
S. 21
15
Vgl.
ebda, S. 24
16
Vgl.
ebda, S. 27
9
"hergestellt",
von Anfang an verschwimmen die Grenzen und werden später, mit dem
Eintreten
der Schauspieler in den Zuschauerraum, gänzlich aufgehoben.
Besonders
interessant und auch amüsant zu lesen sind im Text von
"Publikumsbeschimpfung"
die Regeln für die Schauspieler, die dem Stück voran gestellt
sind.
"
In
dem ersten Beatles-Film Ringo Starrs Lächeln ansehen, in dem Augenblick, da er,
nachdem
er von den andern gehänselt worden ist, sich an das Schlagzeug setzt und zu
trommeln
beginnt.
"
17
Das
ist eine der 17 Anweisungen, die immer skurriler zu werden
scheinen.
Einmal mehr beweist Peter Handke damit unkonventionellen Einfallsreichtum und
den
Willen, alte Muster zu durchbrechen. Er setzt mit diesem Regeln ganz andere
Prioritäten,
um das Gelingen der Aufführung sicherzustellen.
Nun
könnte man argumentieren, dass es durchaus Parallelen zwischen der Methode
Handkes
in
Publikumsbeschimpfung
und
Brechts epischem Theater gibt. Auch Brecht
möchte
die Zuschauer zur Reflexion animieren, auch im epischen Theater wird
gelegentlich
das
Wort an die Zuschauer gerichtet. Der entscheidende Unterschied findet sich
aber, wie
oben
bereits erwähnt, in der Fiktion. Für Brecht bleibt das Theater immer fest
verbunden mit
einer
erfundenen Geschichte. Diese soll das Publikum, angestoßen durch die Wirkung
der
Verfremdung,
zum Überlegen bewegen, ihm Stoff zum Nachdenken geben und Reflexion
über
das eigene Handeln und Handeln Anderer initiieren. Handke jedoch ist der
Meinung, es
sei
das Beste, die Literatur zur Gänze frei von unnötiger Fiktion zu halten.
18
Mit
diesem
Schritt
kapselt er sich von allem vorher Bekannten ab und begründet, zumindest für sich
selbst,
eine neue Art Theater.
5.
Auswirkungen auf die Theaterwelt
Provokation
und Neuerung, die erkennbaren Hauptmotive der frühen Stücke Handkes
sprechen
besonders die jungen Theaterbesucher an. Die grundlegende Kritik am
Theaterbetrieb
und seinen Machern, an sprachlichen Mustern, die die Wirklichkeit verzerren,
passt
gut in den aufkeimenden Unmut der nachkommenden Generation. 2 Jahre später wird
dieser
Unwille, den vorangegangenen Generationen in alten Bahnen zu folgen, seinen
17
Peter
Handke: Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke. Frankfurt am Main:
Suhrkamp
2012,
S. 9
18
Vgl.
Peter Handke: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms. Aufsätze. Frankfurt am
Main:
Suhrkamp
1972, S. 24
10
Ausdruck
in der 68er-Bewegung finden. Handke selbst war dieses politische Engagement
jedoch
bereits zu direkt. Es ging ihm eher um eine Veränderung der ästethischen
Wahrnehmung,
die dann wiederum eine politische Veränderung des Menschen bewirken
könne.
19
Unmittelbar
nach seinem Aufstieg zum "Pop-Star der Literatur" war sein Einfluss
auf die
Öffentlichkeit
sehr groß. Er war faszinierend und undurchsichtig, eine politische Motivation
nur
schwer erkennbar, kurz: Peter Handke wurde zum Phänomen. Seminare und
Arbeitskreise
schossen wie Pilze aus dem Boden; es gab Fans, die ihm wie Groupies zu
seinen
Lesungen und Auftritten hinterher reisten und es gab Leute, dessen neues Hobby
es
wohl
war, gegen Handke und seine Überzeugungen zu sein.
20
In
diesen ersten Jahren nach
Publikumsbeschimpfung
hatte
Handke also großen Erfolg,
nicht
zuletzt auch weil er in den Jahren von 1966 bis 1971 in rascher Folge neue
Romane
und
Theaterstücke "auf den Markt warft", die alle recht erfolgreich sind.
Später,
mit Handkes Eintritt in die Debatte um Serbien und den Jugoslawien-Konflikt,
scheint
seine
Kredibilität geschwächt und mit der allgemeinen Kritik, die er von den Medien
und
Lesern/Zuschauern
erfährt, verändert sich sicher auch die Rezeption seiner nachfolgenden
Werke.
19
Vgl.
Katharina Pektor: Stationen am Theater. In: Handkeonline.onb.ac.at URL:
http://handkeonline.onb.ac.at/node/1866
(7.9.2015)
20
Vgl.
Der Spiegel: Schriftsteller/Handke. Unerschrocken naiv. In: Der Spiegel 1970,
H. 22, S. 174
URL:
http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/44906306
(7.9.2015)
11
6.
Fazit/Abschluss
Handkes
Publikumsbeschimpfung
und
auch seine weiteren Bühnenwerke sind ohne Zweifel
revolutionär,
gewagt und provokant. Die Kritik an der Literatur und auch am Theaterwesen,
die
er mit seinen frühen Werken und den Essays in
Ich
bin ein Bewohner des
Elfenbeinturms
übt,
hat möglicherweise nicht den langfristigen Erfolg erzielt, den Handke
damals
im Sinn hatte.
Vor
allem deshalb glaube ich, dass die Aussage, die hinter diesen Werken steht,
nach wie
vor
nicht ihre Relevanz verloren hat. Auch nach fast 50 Jahren scheint mir die
Kritik an der
Wiederholung
und "Abnutzung" von Methoden nicht überholt zu sein, sondern
möglicherweise
prominenter denn je.
In
einer Zeit, in der man dank Eigenverlag und Internet von allen Seiten mit
Literatur
geradezu
überschwemmt wird, lässt sich leicht der Überblick verlieren. Diese Vielfalt
der
Publikationsmöglichkeiten
eröffnet zwar vor allem Chancen, mindert aber gleichzeitig auch
die
Qualität eines Großteils der produzierten Werke.
Meiner
Meinung nach bedarf es gerade jetzt, wieder oder immer noch einer
Persönlichkeit,
die
gängige Muster durchbricht, mit Altbekanntem kurzen Prozess macht und die
Menschen
zum
Nachdenken bewegt. Besonders in einer Zeit, die politisch und gesellschaftlich
wohl
einmal
mehr grundlegend für die kommenden Jahrzehnte sein könnte.
12
7.
Literaturangaben
7.1
Primärliteratur
Handke,
Peter: Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke. Frankfurt am Main:
Suhrkamp
2012
7.2.
Sekundärliteratur
Handke,
Peter: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms. Aufsätze. Frankfurt am Main:
Suhrkamp
1972
Kastberger,
Klaus: Lesen und Schreiben. Peter Handkes Theater als Text. In: Ders. / Pektor,
Katharina
(Hg.): Die Arbeit des Zuschauers. Peter Handke und das Theater. Salzburg/Wien:
Jung
und Jung 2012, S. 35-48
Müller,
Klaus-Detlef: Bertolt Brecht. Epoche - Werk - Wirkung. München: C. H. Beck 2009
7.3.
Internetquellen
Hajer,
Jan: Episches Theater. In: Unterricht.hajer.com
URL:
http://hajer.com/unterricht/deutsch/gattungen/drama/episches_theater.htm
(29.8.15)
Luft,
Friedrich: Das Profil: Peter Handke - Gespräch mit Friedrich Luft. München:
Bayrischer
Rundfunk
Alpha 1969
URL:
https://www.youtube.com/watch?v=fMPW00m_gZc
(26.8.15)
Mühry,
Andres / Sattler, Stefan: In den Rätseln bleiben!. In: FOCUS Magazin/7: 2007
URL:
http://www.focus.de/kultur/buecher/kultur-in-den-raetseln-bleiben_aid_227012.html
(26.8.15)
Pektor,
Katharina: Publikumsbeschimpfung - Enstehungskontext. Handkeonline.onb.ac.at
URL:
http://handkeonline.onb.ac.at/node/296
(27.8.15)
Pektor,
Katharina: Stationen am Theater. In: Handkeonline.onb.ac.at
URL:
http://handkeonline.onb.ac.at/node/1866
(7.9.2015)
Spiegel:
Schriftsteller/Handke. Unerschrocken naiv. In: Der Spiegel 1970, H. 22, S. 174
URL:
http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/44906306
(7.9.2015)
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Titel
Peter Handkes "Publikumsbeschimpung". Ein
Skandalwerk, betrachtet aus dem 21. Jahrhundert
Veranstaltung
Literaturwissenschaftliches Forschen - Peter Handke
Autor
Jahr
2015
Seiten
12
Katalognummer
V343710
Dateigröße
457 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arbeit zitieren
, 2015, Peter Handkes
"Publikumsbeschimpung". Ein Skandalwerk, betrachtet aus dem 21.
Jahrhundert, München, GRIN Verlag,
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