Thursday, October 19, 2017

HANDKE & HIS WORKING DIARIES​http://www.deutschlandfunk.de/peter-handke-schenkung-herzstueck-seiner-arbeit.691.de.html?dram:article_id=398534​ Peter Handke-Schenkung "Herzstück seiner Arbeit" 30.000 handgeschriebenen Seiten: Peter Handke hat dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach weitere Tagebücher aus den Jahren 1975 bis 2015 überlassen. Diese würden noch lange interessant für die Forschung sein, sagte der Leiter des Literaturarchivs Ulrich von Bülow im Dlf. Ulrich von Bülow im Gespräch mit Anja Reinhardt Hören Sie unsere Beiträge in der Dlf Audiothek Ulrich von Bülow, der Leiter Handschriftenabteilung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, zeigt ein Schwarzes Heft des Philosophen Martin Heidegger. Die Einrichtung in Marbach am Neckar bei Stuttgart archiviert und verwaltet den Nachlass Heideggers. ( (c) dpa) Ulrich von Bülow, Leiter Handschriftenabteilung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, erhält von Peter Handke Tagebücher aus den Jahren 1975 bis 2015. Hier hält er eine Ausgabe aus Heideggers Nachlass. ( (c) dpa) E-Mail Teilen Tweet Drucken Podcast MEHR ZUM THEMA Deutsches Literaturarchiv Marbach"Wir können keinen Ruhm verteilen" Peter Handke Gehen im Herzland 50 Jahre "Publikumsbeschimpfung" von Peter Handke Peymann erinnert an Skandal-Aufführung Ulrich von Bülow: Ja, die Zeitkapsel, das ist bei uns eine recht beliebte Veranstaltungsserie. Wir haben den Titel von Andy Warhol entliehen. Der hatte nämlich, ich weiß nicht, ich glaube, in den 60er-Jahren die Angewohnheit, alles, was er auf seinem Schreibtisch fand, in Pakete zu packen. Und diese Pakete, die sind heute in Museen und werden dort ausgepackt. Das sind die Zeitkapseln. Und viele der Dinge, die wir bekommen, sind ja auch so eine Art Zeitkapsel, und die Freude, die wir haben, wenn wir solche Pakete oder Kisten auspacken, die wollen wir mit dem Publikum teilen. Und das machen wir schon seit einer Reihe von Jahren in Form dieser Serie der Zeitkapseln. "Eine Forschung, die eigentlich nie abgeschlossen ist" Reinhardt: Diese Zeitkapsel heute Abend hat über 23.000 Seiten. So viel umfassen die Notizen, die jetzt dazu kommen. Wie lange dauert das eigentlich, bis man so eine Menge einigermaßen erforscht hat? von Bülow: Oh, das dauert sehr lange, und der Erforschungsprozess, der ist überhaupt nicht absehbar, weil im Bereich der Literatur natürlich eine Forschung eigentlich nie abgeschlossen ist. Die erste Aufgabe, vor der wir stehen, ist sehr viel trivialerer Art. Wir müssen nämlich die konservatorisch gut behandeln, die Notizbücher. Wir müssen die vielen Federn und Blätter und Einlagen dort rausnehmen, aber ihrerseits konservieren. Das wird der erste Schritt sein. Dann stellen wir die Tagebücher der Öffentlichkeit und der Forschung zur Verfügung, und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Zukunft zeigen wird, dass es viele Jahrzehnte, ich will nicht von Jahrhunderten sprechen, aber lange Zeit dauern wird, dass die Tagebücher noch sehr lange interessant sind für die Forschung. Tagebücher als Ideenspeicher Reinhardt: Und Sie werfen sicherlich auch noch mal einen neuen Blick auf insgesamt das Werk von Handke, oder? von Bülow: Ja, denn die Tagebücher, die sind wirklich ein Herzstück seiner Arbeit. Sie müssen sich diese ungeheure Menge von insgesamt - - Wenn man von 1975 bis 2015 rechnet, dann handelt es sich um insgesamt 30.000 Seiten. Das ist eine ungeheure Textmenge. Und auch die Art, wie Handke diese Notizbücher gefüllt hat, denn er hat sie für vieles gleichzeitig benutzt. Er hat sie als Ideenspeicher benutzt, er hat sie für Sprachübungen benutzt. Aber es gibt auch die ganz normalen Tagesnotizen. Es gibt sehr viele Naturbeschreibungen. Die Bücher kann man auch immer in den Jahreszeiten situieren. Reinhardt: … und auch noch Kritzeleien dazu. von Bülow: Es gibt die Kritzeleien, genau. Das ist auch eine ganz eigentümliche Art, wie Handke das handhabt. Man würde von einem Schriftsteller wie Handke vielleicht eine sensationelle Eröffnung aus dem Intimleben in Tagebüchern erwarten. Das findet man aber so gut wie gar nicht. Einblick in Handkes Serbien- und Bosnien- und Slowenien-Reisen Reinhardt: Was man aber vielleicht findet, weil jetzt diese Tagebücher, die Sie jetzt bekommen, auch die Zeit des Jugoslawien-Krieges behandeln, sind möglicherweise neue Erkenntnisse über diese doch relativ schwierige und problematische Geschichte, das Verhältnis Handkes zu Serbien beziehungsweise sein Verhältnis zu Milosevic. Erwarten Sie sich da noch mal Aufschluss über diese doch schwierige Periode in der Handke-Rezeption? von Bülow: Ich erwarte von den Notizbüchern aus dieser Zeit – das ist ja eine lange Periode; das geht ja in den 90er-Jahren und auch im ersten Jahrzehnt unseres Jahrtausends. Das ist ja die Periode, wo ihn Jugoslawien sehr beschäftigt hat und Serbien. Ich habe natürlich jetzt auch die vielen Seiten nicht lesen können, aber stichprobenhalber habe ich doch festgestellt, dass es auch sehr viel zum Beispiel von seinen Serbien- und Bosnien- und Slowenien-Reisen in dieser Zeit gibt. Wie sehr die das Bild, was er in seinen Veröffentlichungen gegeben hat, verändern werden, das vermag ich nicht zu sagen. "Was nicht nur faktisch stimmt, sondern auch poetisch gültig ist" Reinhardt: Handke selber hat ja immer wieder auch gesagt, dass er nichts von Distanz hält. Ich sage das deswegen, weil ich mich frage, ob solche Tagebuchaufzeichnungen nicht immer das Problem haben, dass sie von vornherein schon für die Veröffentlichung gedacht sind, dass er doch eigentlich sehr wohl Distanz hat zu sich selbst, wenn er da schreibt? von Bülow: Ich kann mir gut vorstellen, dass jetzt, nachdem er schon manche Auszüge aus den Tagebüchern – das sind ja immer nur Auszüge, die veröffentlicht worden sind -, nachdem er das mehrmals gemacht hat, dass er dann schon auch sich vorstellen kann, dass auch aus den neuen Tagebüchern etwas veröffentlicht wird. Ob aber er von Anfang an die Tagebücher 1975 mit dem Ziel begonnen hat, sie zu veröffentlichen, das weiß ich nicht, denn es ist tatsächlich auffallend, dass das Private ganz weitgehend fehlt und auch das Intimleben dort nicht ausgebreitet wird. Aber das hängt, glaube ich, mit seiner Auffassung des Schriftstellerberufs zusammen. Ich glaube, dass Handke einfach den Anspruch an sich selbst hat, dass er nur so etwas in sein Tagebuch schreibt, was nicht nur faktisch stimmt, sondern auch poetisch gültig ist. Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen. ================================ Das ist doch nicht der Fall bei GEWICHT DER WELT oder GESCHICHTE DES BLEISTIFTS, die strotzen doch teilweise von Persönlichem. m.r. ====================== Peter Handkes TagebücherEiner, der selbst im Gehen schreibt Christian Gampert im Gespräch mit Sigrid Brinkmann Beitrag hören Podcast abonnieren Autor Peter Handke im Oktober 2014 in Wien. (picture alliance / dpa / Georg Hochmuth) Peter Handke (picture alliance / dpa / Georg Hochmuth) Peter Handke hat dem Literaturarchiv Marbach 151 weitere Tagebücher übergeben - insgesamt 23.500 Seiten. Sichtbar wird ein Schriftsteller, der alles notiert, was "poetische Gültigkeit" haben könnte. Und auch im Gehen schreibt. Im Jahr 2008 erwarb das Deutsche Literaturarchiv Marbach die ersten Tagebücher von Peter Handke: 66 Bände, die den Alltag des Schriftstellers aus den Jahren zwischen 1975 – 1990 spiegeln. Diese 66 Bände gehörten bald zu den am häufigsten angeforderten Handschriften des Archivs. Bis 2015 hat Peter Handke weitere 151 Hefte mit Notizen gefüllt - und auch diese nun dem Literaturarchiv übergeben. Insgesamt handelt es sich um rund 23.500 Tagebuchseiten. Handke und das Tagebuchschreiben: Das sei wie eine tägliche Übung - so wie andere Leute Yoga machten oder beteten, sagt unser Literaturkritiker Christian Gampert. Es seien auch keine Tagebücher im herkömmlichen Sinn: Handke schreibe alles auf, was eine "poetische Gültigkeit" haben könnte: "Der schreibt auf, und legt das ab, das wird benutzt, oder auch nicht." Handke trägt seine Tagebücher in der Hosentasche Handke begann mit dem Tagebuchschreiben, als er anfing zu reisen, berichtet Gampert, der bei der Präsentation der Notate im Literaturarchiv dabei war. Viele der Notizen sind auch im Gehen entstanden - dementsprechend sehen die Tagebücher aus. Sie seien "ziemlich zerschossen", so Gampert. Handke schreibt in Hefte, die gerade vorrätig sind, "und trägt sie dann in der Hosentasche". Deswegen müssten die Tagebücher nun restauriert werden. Die Notate seien für den Schriftsteller "eine Art Insel", so Gampert. Politik kommt kaum vor, dafür viele Beobachtungen aus der Natur. "Man kann hier jemandem zugucken, der mit der Sprache sehr sorgfältig umgeht", betont Gampert. Sprache und Natur - das seien die Themen von Handkes Tagebüchern. http://www.deutschlandfunkkultur.de/peter-handkes-tagebuecher-einer-der-selbst-im-gehen-schreibt.1013.de.html?dram:article_id=398545 ================================== Peter Handke in Marbach Gesammelte Sternschnuppen Von Stefan Kister 19. Oktober 2017 - 18:15 Uhr Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach hat seinen Bestand an Tagebüchern von Peter Handke vervollständigt. Zur Feier der Übergabe hat sich der österreichische Autor auf eine persönliche Reise durch ein ganzes Erinnerungsmassiv aus Papier gemacht. Die Journale, diese Mitschriften, Notate, Kritzeleien dessen, was der Augenblick ihm im Vorüberfliegen zuflüstert, sind ein zentraler Bestandteil von Peter Handkes Schaffen. Foto: DLA Die Journale, diese Mitschriften, Notate, Kritzeleien dessen, was der Augenblick ihm im Vorüberfliegen zuflüstert, sind ein zentraler Bestandteil von Peter Handkes Schaffen. Foto: DLA Stuttgart - Der Flügel trägt das Gewicht der Welt. Unzählige kleine Bändchen in allen Formen und Farben sind im Humboldt-Saal des Deutschen Literaturarchivs auf dem schwarzen Klangkörper aufgebaut, als gelte es, ins Bild zu fassen, was sich in den abertausend Seiten dieses neuen, kostbaren Besitzes zusammenzieht: ein Ereignis des Wiederklingens, der Resonanz mit der Welt. Marbach hat die Tagebücher des österreichischen Schriftstellers Peter Handke erworben. 66 Exemplare aus der Zeit von 1975 bis 1990 werden dort bereits verwahrt und zählen zu den meistgenutzten Beständen des Hauses. Nun kommen weitere 151 dazu, vom Anfang der neunziger Jahre bis 2015. Damit ist Marbach zusammen mit Wien, wo Handkes Manuskripte und Korrespondenzen gesammelt werden, ein zentraler Ort im Erinnerungskosmos des Dichters. Mehr zum Artikel Sandra Richter übernimmt Führungswechsel beim Literaturarchiv in Marbach Sandra Richter übernimmt Literaturmuseum der Moderne Marbach zeigt, wie sich Familien inszenieren Das Literaturarchiv wird sechzig Jahre alt Die Hüter kostbarer Schätze Handke sieht aus wie Don Quichotte Den man so nennen möchte, weil sich in seiner Erscheinung über die Profession hinaus eine literarische Lebensform ausprägt – auch darin, dass er optisch dem Vorstellungsbild eines Don Quichotte immer ähnlicher wird. So wie jener die ihm entgleitende Gegenwart vorm Hintergrund seiner Lektüreerfahrungen ordnet, ist der 1943 im kärntnerischen Griffen geborene Handke der letzte Ritter einer epischen Welterfahrung. Die Journale, diese Mitschriften, Notate, Kritzeleien dessen, was der Augenblick ihm im Vorüberfliegen zuflüstert, sind ein zentraler Bestandteil seines Schaffens. Und sei es nur im Verhältnis des Samens zum ausgebildeten Ganzen. Sie sind gezeichnet von unermüdlichen Grenzgängen durch Europa und darüber hinaus. Die abgegriffenen Einbände dieser von Hitze und Kälte aufgetriebenen kleinen Buchbündel, vollgesogen mit Erinnerungen und übersät mit Spuren des Gebrauchs, zeugen von den Fahrten an die Außenposten des Bewusstseins, durch Poesie und Politik, durch die Wildnis der Sierra de Gredos oder durch Traum und Trauma Jugoslawiens. Weltenschöpfer Bleistift Aber um das gleich vorwegzunehmen: Der in dieser Angelegenheit immer noch sehr entwickelte Pawlow’sche Empörungsreflex wird an diesem Abend nicht bedient. Sicher finden sich in einem dieser Bändchen auch die Notizen zu den jugoslawischen Reiseberichten, den einst hitzig diskutierten, am hitzigsten von denen, die die bequeme mediale Wahrnehmung eigener Augenzeugenschaft jederzeit vorgezogen haben. Doch wer hier auf eine Schlangengrube hofft, aus der sich giftige Geheimnisse ans Licht bringen lassen, der hat vieles nicht verstanden, am wenigsten den Charakter dieser Tagebücher. Ein vom Weltenschöpfer Bleistift geschaffenes Gebirge aus Papier nennt der Direktor des Literaturarchivs, Ulrich Raulff, das, was sich auf dem Flügel türmt. Zusammen mit dem Leiter des Handschriftenarchivs, Ulrich von Bülow, macht sich der 75-jährige Dichter auf, einige Passagen dieses Massivs noch einmal zu durchstreifen. Und dieses Bild führt nicht in die Irre, ein gemächliches Schweifen, ein Verweilen an dieser oder jener Stelle, ein versunkenes Zurückblicken gibt dem Weg durch dieses Bleistiftgebiet das Zeitmaß. Saumseligkeit, wie man es mit einem Handke-Wort nennen könnte. Erst später hat er Notizbücher geführt Wobei gleich ein erster Irrtum ausgeräumt werden muss, denn die meisten der an die Wand projizierten Seiten verdanken sich gar keinem Bleistift, sondern Kugelschreibern oder blauen, roten, grünen Filzstiften. Hier wird ein Satz aufgegriffen und versonnen hin und her gewendet. Dort steckt eine Einlage zwischen den Seiten: „Ich kann vieles liegen lassen, aber keine schönen Federn“, sagt Handke. Vor 1975 habe er nie ein Tagebuch geführt. „Früher im Internat gab es diese Mode, aber in dieses Spiel habe ich nicht einsteigen können.“ Erst im Zusammenhang mit längeren Arbeiten sei er darauf gekommen, Notizbücher zu führen. Dabei sei manches nebenbei entstanden, aufgetaucht und wieder verschwunden wie eine Sternschnuppe. Aus dem Gefühl des Bedauerns habe er sich angewöhnt, diese Besonderheit, eine Sprachform, die es nur einmal gibt, festzuhalten: „Aus Erkenntlichkeit dem Existieren gegenüber habe ich meine Heftchen gezückt.“ Der Marienkäfer als Dialogpartner Während der Jahre seiner Wanderschaft, vom Balkan nach Japan, von Alaska zurück nach Europa, reisten die Journale immer in der linken Hosentasche mit. Der Verlust eines von ihnen schmerzt noch heute. „Die Freundschaft umwandert den Erdkreis, stachelt uns an, zur Seligkeit zu erwachen“, übersetzt Handke einen griechisch notierten Sinnspruch von Epikur. „Vielleicht wollte ich mich auch wichtig machen, aber es kommen viele fremdsprachige Zitate vor.“ Neben Griechisch, Latein, Slowenisch auch noch auf Arabisch. Wie Litaneien reiht Handke Ortsnamen aneinander. Manche reizvoll erratische Periode wird zur Erzählung weiterspintisiert. Andere bleiben für sich. In Berlin sprießen sie auf dem Weg von einer Straße zur anderen wie Pilze aus dem Boden: „Jeder Satz müsste ans Wunderbare grenzen (Gutenbergstraße)“, „es gibt die Sätze (Leibnizstraße)“, „ganz selten ein kleiner Schimmer von Ich (Wilmersdorferstraße)“. Erhabener Nonsens und Sinnspruch liegen bisweilen nur einen Schritt auseinander. Und dazwischen eine Szene wie diese: „Mein Dialogpartner von heute: ein Marienkäfer. Ich sitze in einem blauen Hemd auf der Gartenbank, schlage die Beine übers Kreuz, und der Marienkäfer ist rot und rundet sich.“ Eigentlich mag Handke gar keine Tagebücher Handkes Sternschnuppensammlung unterscheidet sich von anderen Tagebüchern auch darin, dass Persönliches gänzlich fehlt: „Ich war nie in Versuchung, private Dinge aufzuschreiben“, sagt er. Dafür gewinnt man Einblick in das Intimleben der Sprache. An einer Stelle werden Verben bestimmten Substantiven zugesellt. Ein Verb für die Frau: „sie versteht“; ein Verb für die Musik Bachs: „das Zeitmaß geben“, ein Verb für die Erzählung: „sie greift ein“. Alles bleibt in Bewegung, nichts ist in diesem schönen Durcheinander fest, auch die Begeisterung für das Tagebuch als solches nicht. Irgendwann verblüfft Handke seinen Dialogpartner mit der Bemerkung, er lese Tagebücher eigentlich gar nicht gern, ziehe das vollendete Werk dem bloß Gemachten vor. Und als er am Schluss erklärt, man solle sich davor hüten, durch Gesprochenes Leute zum Staunen bringen zu wollen, und damit den Sinn der ganzen Veranstaltung kurzerhand infrage stellt, bleibt seinem Gegenüber nur ein verdattertes: „Ja, genau“. So rundet sich ein denkwürdiger Abend. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.peter-handke-in-marbach-gesammelte-sternschnuppen.6f1af4be-21b9-4306-8789-67029229926c.html ===================================== https://www.swr.de/swr2/kultur-info/literatur-deutsches-literaturarchiv-marbach-peter-handke/-/id=9597116/did=20486538/nid=9597116/1mch08g/index.html Literaturarchiv Marbach erhält weitere Tagebücher von Peter Handke Mehr Nähe zu Handke geht nicht Kultur Regional am 19.10.2017 von Christian Gampert Schon heute liegen 66 Tagebücher von Peter Handke im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Über 10.000 Seiten aus den Jahren 1975 bis 1990. Sie gehören zu den meistbenutzten Handschriften des Archivs. Nun sind noch einmal 23.500 Seiten dazugekommen, denn Marbach hat auch die Notizbücher aus den Jahren 1990 bis 2015 erworben. Handke hat das handschriftliche Schreiben für sich entdeckt und sagt: "Es gibt keine Tätigkeit, die so gesellig ist, wie das Schreiben von Prosa". Ulrich von Bülow, der Leiter der Marbacher Handschriften-Abteilung, hat gemeinsam mit Handke in den Seiten der Tagebücher geblättert. Näher kann man Handke nicht kommen. Zehntausende Seiten Peter Handke pur Dauer 4:06 min QuelleSWR2 2017 Audio herunterladen (3,79 MB | mp3) In Peter Handkes Tagebüchern geht es nicht um die Widrigkeiten des Alltags, Termine, persönliche Konflikte, die Liebe oder Politisches. Das Private kommt nicht vor, die Politik wirft höchstens einen fernen Schatten. Der Anspruch dieser Aufschriebe ist ein anderer. Handke nimmt seine Notizbücher mit auf Reisen und in die Natur. Er protokolliert, was er sieht und was ihm dazu einfällt – ein Phänomenologe. Er reflektiert über seine Lektüren, er übersetzt aus dem Griechischen oder liest den "Don Quichotte" auf Spanisch. Er wendet Worte hin und her. Diese Kladden sind keine Werke an sich, aber sie ermöglichen einen Blick in die Werkstatt des Schriftstellers, in die Entstehungsprozesse von Literatur. Denn was hier notiert wird, ist oftmals Ausgangspunkt für einen Text. Handke sagt, er schreibe gern inzwischen von Hand. "Da kann ich überall hingehen, in die Natur, in die Steppe, in die Savanne." Im Gespräch mit Marienkäfern Im Deutschen Literaturarchiv waren nun 151 ganz unterschiedliche Notizbücher auf einem Konzertflügel aufgetürmt. In diesen Notaten bekommen die Beobachtungen des Alltags Flügel, und die Worte werden, wenn es gut geht, zu Poesie. Aber es sind eben viele Versuche notwendig, viele Selbstgespräche, Selbstkritik, Aufforderungen an sich selbst. "Empfänglich sein ist alles" lautet eine Maxime, die in Variationen immer wieder vorkommt. Immer neu formuliert Handke für sich ein elftes Gebot: "Freude machen" kann es heißen oder "Einmal am Tag ‚herrlich‘ ausrufen". Nun könnte man sagen, dass es verrückt ist, wenn sich jemand einen Marienkäfer zum Dialogpartner wählt oder alte Namen auf französischen Friedhöfen notiert, nur weil ihm der Klang gefällt. Aber Handkes Arbeitsweise hat überhaupt nichts Esoterisches. Es geht ihm um die Dinge an sich: er will etwas festhalten und es überliefern. Es gibt, wie in seinen Romanen auch, einen gemeinsamen Raum zwischen Autor und Leser, und der liegt in konkreten, meist minimalen Beobachtungen, bei denen eine poetische Wahrheit aufgeht, weil sie das Universelle streifen. "Es gibt keine Tätigkeit, die so gesellig ist, wie das Schreiben von Prosa", meint Handke. Er sei dabei ganz nah dran an Gesellschaft und den Menschen. Deutsches Literaturarchiv MarbachDeutsches Literaturarchiv Marbach Buchenlaubrauschen statt Breaking News In der Laptop-Welt der Breaking News und der wichtigen Koalitionsverhandlungen nimmt es sich natürlich seltsam aus, wenn einer "das Rauschen von Buchenlaub am Morgen" mit den Geräuschen anderer Baumarten vergleicht. Doch: Wenn alle Termine abgehakt, alle Meldungen gelesen, "Spiegel" und "ZEIT" durchgekaut sind: fühlt man sich dann nicht völlig leer und blöd im Kopf? Peter Handke nimmt sich die Zeit, die andere sich nicht nehmen. Er liest, schaut zu, schreibt. Alle leben unter Sachzwängen, aber jeder gestaltet sein Leben selbst. Es gibt keine Ausreden. Peter Handke lebt im literarischen Denken. Er schreibt, während er wandert. Es ist ein Schreiben in Bewegung. Die Seiten sind voller Zeichnungen, zwischen ihnen liegen Blätter und Vogelfedern. Nun muss alles restauratorisch bearbeitet werden, die Bücher waren schließlich immer in der Hosentasche. Aber auch literarisch kommt uns da etwas sehr Altes entgegen, etwas, das zu bewahren sich lohnt. Die kleine öffentliche Arbeitssitzung, die ein sehr aufgeräumter und selbstironischer Peter Handke mit Ulrich von Bülow, dem Leiter der Marbacher Handschriften-Abteilung, absolvierte, war äußerst unterhaltsam. Sie gab doch nur kleine Einblicke in das Riesen-Konvolut, das jetzt in Marbach aufgearbeitet werden muss. Für diese Arbeit gilt, was Handke von seinem Tagebuchschreiben selber sagt: Sie ist "eine schöne Notwendigkeit". Stand: 19.10.2017, 11.13 Uhr

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http://handke-magazin.blogspot.com/2017/08/selected-comments-on-handkes-diary.htmL/


Peter Handkes Tagebücher im Deutschen Literaturarchiv Marbach

19.10.2017 | 4 Min. | Verfügbar bis 19.10.2018 | Quelle: SWR
Nach den Jahrgängen 1975 bis 1990 überlässt Peter Handke jetzt auch seine seit 1990 geführten Tagebücher dem Deutschen Literaturarchiv Marbach. Ein literarischer Schatz.

http://www.ardmediathek.de/tv/Kunscht/Peter-Handkes-Tageb%C3%BCcher-im-Deutschen-Li/SWR-Fernsehen/Video?bcastId=18349524&documentId=47055882



WORTH READING & COMMENTING IN ENTIRETY:
http://www.begleitschreiben.net/notiz-statt-tagebuecher/


Naja, Handkes Notizen kreisen schon um so etwas wie die Suche nach (literarischer) Perfektion. Manchmal sind es auch Sprachspiele oder Experimente. In den als Bücher publizierten »Journalen« (»wie »Gewicht der Welt«, »Geschichte des Bleistifts« oder zuletzt »Vor der Baumschattenwand nachts«) finden sich dann Extrakte. Tatsächlich sind Handkes Notizen zuweilen sehr suchend.




https://www.nzz.ch/feuilleton/immer-schweigt-das-tagebuch-ld.13232Immer schweigt das Tagebuch






Warum uns die Intimität täglicher Notizen zum Narren hält: sie verbergen alles, indem sie alles preiszugeben scheinen.
Roman Bucheli
Gerade hat der Schriftsteller Peter Handke eine grosse Anzahl seiner Tagebücher in das Deutsche Literaturarchiv in Marbach gegeben. (Bild: Cesar Cabrera / Keystone)

Gerade hat der Schriftsteller Peter Handke eine grosse Anzahl seiner Tagebücher in das Deutsche Literaturarchiv in Marbach gegeben. (Bild: Cesar Cabrera / Keystone)


Am 22. Juli 1955 war Thomas Mann noch in Noordwijk an der niederländischen Atlantikküste. Eine Woche später lag er im Zürcher Kantonsspital mit einer schweren Venenentzündung und notierte ins Tagebuch: «Lasse mir's im Unklaren, wie lange dies Dasein währen wird. Langsam wird es sich lichten. Soll heute etwas im Stuhl sitzen. – Verdauungssorgen und Plagen.» Es sind die letzten Zeilen im veröffentlichten Tagebuch des Literaturnobelpreisträgers. Zwei Wochen später, am 12. August 1955, starb Thomas Mann. «Verdauungssorgen» waren ein wiederkehrendes Motiv der Tagebücher. Sie begleiteten ihn bis zuletzt.
Thomas Mann war vielleicht der raffinierte Zeremonienmeister der in die Öffentlichkeit verlängerten Intimität. Er zelebrierte seine Innerlichkeit bis in die Eingeweide des Körpers (an denen sich den Schamanen die Seele und die Zukunft offenbaren sollten) und verhüllte sich damit umso nachdrücklicher. Er entzog sich den voyeuristischen Blicken, indem er sich ihnen preisgab. Und versetzte den postumen Leser (mit dem er selbstverständlich rechnete) in den dauernden Zwiespalt von Neugier und Beschämung.
Unlängst hat Peter Handke seine jüngsten Notiz- und Tagebücher an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach verkauft. Damit zählen die dortigen Bestände der Handke-Diarien mittlerweile rund 200 Hefte, die von 1975 bis ins Jahr 2015 reichen. Das wiederum summiert sich dann auf über 23 000 handgeschriebene Blätter. Diese sind mit dem Verkauf öffentlich und allen zugänglich: Wer sie lesen mag, kann und darf jetzt. Vierzig Jahre im Schnelldurchlauf: so flink und leicht sich eben eine Handschrift entziffern lässt.
Selbst wenn jemand so etwas tun wollte (aber welcher Teufel müsste ihn da reiten?), würde ihn nicht sogleich das nackte Grauen packen? Schaute er nicht in Abgründe, in Eingeweide, in Alltägliches, in Allzumenschliches, das ihn nichts angeht, unter keinem Vorwand, und hiesse er «Wissenschaft»?
Solches musste Peter Handke geahnt haben, als er in Marbach die Hefte präsentierte und möglichen Kummer seiner Leser mit den Worten zu beschwichtigen meinte: «Manchmal passiert auch ein paar Tage gar nichts.» Aber das macht doch alles nur noch schlimmer! Das glaubt ihm doch keiner! Nicht ihm, der doch zu den genauesten Beobachtern und Aufschreibern des Nichts gehört.

Das heisst doch: Immer fehlt da etwas. Immer wird uns das Beste vorenthalten. Peter Handke erweist sich darum als der gelehrigste Schüler Thomas Manns. Sie verbergen alles, indem sie angeblich alles zeigen. 


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http://www.deutschlandfunk.de/peter-handke-schenkung-herzstueck-seiner-arbeit.691.de.html?dram:article_id=398534



Peter Handke-Schenkung"Herzstück seiner Arbeit"

30.000 handgeschriebenen Seiten: Peter Handke hat dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach weitere Tagebücher aus den Jahren 1975 bis 2015 überlassen. Diese würden noch lange interessant für die Forschung sein, sagte der Leiter des Literaturarchivs Ulrich von Bülow im Dlf.
Ulrich von Bülow im Gespräch mit Anja Reinhardt
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Ulrich von Bülow, der Leiter Handschriftenabteilung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, zeigt ein Schwarzes Heft des Philosophen Martin Heidegger. Die Einrichtung in Marbach am Neckar bei Stuttgart archiviert und verwaltet den Nachlass Heideggers. (   (c) dpa)
Ulrich von Bülow, Leiter Handschriftenabteilung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, erhält von Peter Handke Tagebücher aus den Jahren 1975 bis 2015. Hier hält er eine Ausgabe aus Heideggers Nachlass. ( (c) dpa)
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Deutsches Literaturarchiv Marbach"Wir können keinen Ruhm verteilen"
Peter Handke Gehen im Herzland
50 Jahre "Publikumsbeschimpfung" von Peter Handke Peymann erinnert an Skandal-Aufführung
Ulrich von Bülow: Ja, die Zeitkapsel, das ist bei uns eine recht beliebte Veranstaltungsserie. Wir haben den Titel von Andy Warhol entliehen. Der hatte nämlich, ich weiß nicht, ich glaube, in den 60er-Jahren die Angewohnheit, alles, was er auf seinem Schreibtisch fand, in Pakete zu packen. Und diese Pakete, die sind heute in Museen und werden dort ausgepackt. Das sind die Zeitkapseln. Und viele der Dinge, die wir bekommen, sind ja auch so eine Art Zeitkapsel, und die Freude, die wir haben, wenn wir solche Pakete oder Kisten auspacken, die wollen wir mit dem Publikum teilen. Und das machen wir schon seit einer Reihe von Jahren in Form dieser Serie der Zeitkapseln.

"Eine Forschung, die eigentlich nie abgeschlossen ist"

Reinhardt: Diese Zeitkapsel heute Abend hat über 23.000 Seiten. So viel umfassen die Notizen, die jetzt dazu kommen. Wie lange dauert das eigentlich, bis man so eine Menge einigermaßen erforscht hat?
von Bülow: Oh, das dauert sehr lange, und der Erforschungsprozess, der ist überhaupt nicht absehbar, weil im Bereich der Literatur natürlich eine Forschung eigentlich nie abgeschlossen ist. Die erste Aufgabe, vor der wir stehen, ist sehr viel trivialerer Art. Wir müssen nämlich die konservatorisch gut behandeln, die Notizbücher. Wir müssen die vielen Federn und Blätter und Einlagen dort rausnehmen, aber ihrerseits konservieren. Das wird der erste Schritt sein. Dann stellen wir die Tagebücher der Öffentlichkeit und der Forschung zur Verfügung, und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Zukunft zeigen wird, dass es viele Jahrzehnte, ich will nicht von Jahrhunderten sprechen, aber lange Zeit dauern wird, dass die Tagebücher noch sehr lange interessant sind für die Forschung.

Tagebücher als Ideenspeicher

Reinhardt: Und Sie werfen sicherlich auch noch mal einen neuen Blick auf insgesamt das Werk von Handke, oder?
von Bülow: Ja, denn die Tagebücher, die sind wirklich ein Herzstück seiner Arbeit. Sie müssen sich diese ungeheure Menge von insgesamt - - Wenn man von 1975 bis 2015 rechnet, dann handelt es sich um insgesamt 30.000 Seiten. Das ist eine ungeheure Textmenge. Und auch die Art, wie Handke diese Notizbücher gefüllt hat, denn er hat sie für vieles gleichzeitig benutzt. Er hat sie als Ideenspeicher benutzt, er hat sie für Sprachübungen benutzt. Aber es gibt auch die ganz normalen Tagesnotizen. Es gibt sehr viele Naturbeschreibungen. Die Bücher kann man auch immer in den Jahreszeiten situieren.
Reinhardt: … und auch noch Kritzeleien dazu.
von Bülow: Es gibt die Kritzeleien, genau. Das ist auch eine ganz eigentümliche Art, wie Handke das handhabt. Man würde von einem Schriftsteller wie Handke vielleicht eine sensationelle Eröffnung aus dem Intimleben in Tagebüchern erwarten. Das findet man aber so gut wie gar nicht.

Einblick in Handkes Serbien- und Bosnien- und Slowenien-Reisen

Reinhardt: Was man aber vielleicht findet, weil jetzt diese Tagebücher, die Sie jetzt bekommen, auch die Zeit des Jugoslawien-Krieges behandeln, sind möglicherweise neue Erkenntnisse über diese doch relativ schwierige und problematische Geschichte, das Verhältnis Handkes zu Serbien beziehungsweise sein Verhältnis zu Milosevic. Erwarten Sie sich da noch mal Aufschluss über diese doch schwierige Periode in der Handke-Rezeption?
von Bülow: Ich erwarte von den Notizbüchern aus dieser Zeit – das ist ja eine lange Periode; das geht ja in den 90er-Jahren und auch im ersten Jahrzehnt unseres Jahrtausends. Das ist ja die Periode, wo ihn Jugoslawien sehr beschäftigt hat und Serbien. Ich habe natürlich jetzt auch die vielen Seiten nicht lesen können, aber stichprobenhalber habe ich doch festgestellt, dass es auch sehr viel zum Beispiel von seinen Serbien- und Bosnien- und Slowenien-Reisen in dieser Zeit gibt. Wie sehr die das Bild, was er in seinen Veröffentlichungen gegeben hat, verändern werden, das vermag ich nicht zu sagen.

"Was nicht nur faktisch stimmt, sondern auch poetisch gültig ist"

Reinhardt: Handke selber hat ja immer wieder auch gesagt, dass er nichts von Distanz hält. Ich sage das deswegen, weil ich mich frage, ob solche Tagebuchaufzeichnungen nicht immer das Problem haben, dass sie von vornherein schon für die Veröffentlichung gedacht sind, dass er doch eigentlich sehr wohl Distanz hat zu sich selbst, wenn er da schreibt?
von Bülow: Ich kann mir gut vorstellen, dass jetzt, nachdem er schon manche Auszüge aus den Tagebüchern – das sind ja immer nur Auszüge, die veröffentlicht worden sind -, nachdem er das mehrmals gemacht hat, dass er dann schon auch sich vorstellen kann, dass auch aus den neuen Tagebüchern etwas veröffentlicht wird. Ob aber er von Anfang an die Tagebücher 1975 mit dem Ziel begonnen hat, sie zu veröffentlichen, das weiß ich nicht, denn es ist tatsächlich auffallend, dass das Private ganz weitgehend fehlt und auch das Intimleben dort nicht ausgebreitet wird. Aber das hängt, glaube ich, mit seiner Auffassung des Schriftstellerberufs zusammen. Ich glaube, dass Handke einfach den Anspruch an sich selbst hat, dass er nur so etwas in sein Tagebuch schreibt, was nicht nur faktisch stimmt, sondern auch poetisch gültig ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Das ist doch nicht der Fall bei GEWICHT DER WELT oder GESCHICHTE DES BLEISTIFTS, die strotzen doch teilweise von Persönlichem. m.r.





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Peter Handkes TagebücherEiner, der selbst im Gehen schreibt

Christian Gampert im Gespräch mit Sigrid Brinkmann

Beitrag hören Podcast abonnieren

Autor Peter Handke im Oktober 2014 in Wien. (picture alliance / dpa / Georg Hochmuth)

    Peter Handke (picture alliance / dpa / Georg Hochmuth)

Peter Handke hat dem Literaturarchiv Marbach 151 weitere Tagebücher übergeben - insgesamt 23.500 Seiten. Sichtbar wird ein Schriftsteller, der alles notiert, was "poetische Gültigkeit" haben könnte. Und auch im Gehen schreibt.


Im Jahr 2008 erwarb das Deutsche Literaturarchiv Marbach die ersten Tagebücher von Peter Handke: 66 Bände, die den Alltag des Schriftstellers aus den Jahren zwischen 1975 – 1990 spiegeln. Diese 66 Bände gehörten bald zu den am häufigsten angeforderten Handschriften des Archivs. Bis 2015 hat Peter Handke weitere 151 Hefte mit Notizen gefüllt - und auch diese nun dem Literaturarchiv übergeben. Insgesamt handelt es sich um rund 23.500 Tagebuchseiten.


Handke und das Tagebuchschreiben: Das sei wie eine tägliche Übung - so wie andere Leute Yoga machten oder beteten, sagt unser Literaturkritiker Christian Gampert. Es seien auch keine Tagebücher im herkömmlichen Sinn: Handke schreibe alles auf, was eine "poetische Gültigkeit" haben könnte: "Der schreibt auf, und legt das ab, das wird benutzt, oder auch nicht."

Handke trägt seine Tagebücher in der Hosentasche

Handke begann mit dem Tagebuchschreiben, als er anfing zu reisen, berichtet Gampert, der bei der Präsentation der Notate im Literaturarchiv dabei war. Viele der Notizen sind auch im Gehen entstanden - dementsprechend sehen die Tagebücher aus. Sie seien "ziemlich zerschossen", so Gampert. Handke schreibt in Hefte, die gerade vorrätig sind, "und trägt sie dann in der Hosentasche". Deswegen müssten die Tagebücher nun restauriert werden.


Die Notate seien für den Schriftsteller "eine Art Insel", so Gampert. Politik kommt kaum vor, dafür viele Beobachtungen aus der Natur. "Man kann hier jemandem zugucken, der mit der Sprache sehr sorgfältig umgeht", betont Gampert. Sprache und Natur - das seien die Themen von Handkes Tagebüchern.


 http://www.deutschlandfunkkultur.de/peter-handkes-tagebuecher-einer-der-selbst-im-gehen-schreibt.1013.de.html?dram:article_id=398545

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Peter Handke in Marbach

Gesammelte Sternschnuppen
Von Stefan Kister 19. Oktober 2017 - 18:15 Uhr

Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach hat seinen Bestand an Tagebüchern von Peter Handke vervollständigt. Zur Feier der Übergabe hat sich der österreichische Autor auf eine persönliche Reise durch ein ganzes Erinnerungsmassiv aus Papier gemacht.

Die Journale, diese Mitschriften, Notate, Kritzeleien dessen, was der Augenblick ihm im Vorüberfliegen zuflüstert, sind ein zentraler Bestandteil von Peter Handkes Schaffen. Foto: DLA
Die Journale, diese Mitschriften, Notate, Kritzeleien dessen, was der Augenblick ihm im Vorüberfliegen zuflüstert, sind ein zentraler Bestandteil von Peter Handkes Schaffen.
Foto: DLA

Stuttgart - Der Flügel trägt das Gewicht der Welt. Unzählige kleine Bändchen in allen Formen und Farben sind im Humboldt-Saal des Deutschen Literaturarchivs auf dem schwarzen Klangkörper aufgebaut, als gelte es, ins Bild zu fassen, was sich in den abertausend Seiten dieses neuen, kostbaren Besitzes zusammenzieht: ein Ereignis des Wiederklingens, der Resonanz mit der Welt. Marbach hat die Tagebücher des österreichischen Schriftstellers Peter Handke erworben. 66 Exemplare aus der Zeit von 1975 bis 1990 werden dort bereits verwahrt und zählen zu den meistgenutzten Beständen des Hauses. Nun kommen weitere 151 dazu, vom Anfang der neunziger Jahre bis 2015. Damit ist Marbach zusammen mit Wien, wo Handkes Manuskripte und Korrespondenzen gesammelt werden, ein zentraler Ort im Erinnerungskosmos des Dichters.


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Handke sieht aus wie Don Quichotte


Den man so nennen möchte, weil sich in seiner Erscheinung über die Profession hinaus eine literarische Lebensform ausprägt – auch darin, dass er optisch dem Vorstellungsbild eines Don Quichotte immer ähnlicher wird. So wie jener die ihm entgleitende Gegenwart vorm Hintergrund seiner Lektüreerfahrungen ordnet, ist der 1943 im kärntnerischen Griffen geborene Handke der letzte Ritter einer epischen Welterfahrung.


Die Journale, diese Mitschriften, Notate, Kritzeleien dessen, was der Augenblick ihm im Vorüberfliegen zuflüstert, sind ein zentraler Bestandteil seines Schaffens. Und sei es nur im Verhältnis des Samens zum ausgebildeten Ganzen. Sie sind gezeichnet von unermüdlichen Grenzgängen durch Europa und darüber hinaus. Die abgegriffenen Einbände dieser von Hitze und Kälte aufgetriebenen kleinen Buchbündel, vollgesogen mit Erinnerungen und übersät mit Spuren des Gebrauchs, zeugen von den Fahrten an die Außenposten des Bewusstseins, durch Poesie und Politik, durch die Wildnis der Sierra de Gredos oder durch Traum und Trauma Jugoslawiens.

Weltenschöpfer Bleistift

Aber um das gleich vorwegzunehmen: Der in dieser Angelegenheit immer noch sehr entwickelte Pawlow’sche Empörungsreflex wird an diesem Abend nicht bedient. Sicher finden sich in einem dieser Bändchen auch die Notizen zu den jugoslawischen Reiseberichten, den einst hitzig diskutierten, am hitzigsten von denen, die die bequeme mediale Wahrnehmung eigener Augenzeugenschaft jederzeit vorgezogen haben. Doch wer hier auf eine Schlangengrube hofft, aus der sich giftige Geheimnisse ans Licht bringen lassen, der hat vieles nicht verstanden, am wenigsten den Charakter dieser Tagebücher.


Ein vom Weltenschöpfer Bleistift geschaffenes Gebirge aus Papier nennt der Direktor des Literaturarchivs, Ulrich Raulff, das, was sich auf dem Flügel türmt. Zusammen mit dem Leiter des Handschriftenarchivs, Ulrich von Bülow, macht sich der 75-jährige Dichter auf, einige Passagen dieses Massivs noch einmal zu durchstreifen. Und dieses Bild führt nicht in die Irre, ein gemächliches Schweifen, ein Verweilen an dieser oder jener Stelle, ein versunkenes Zurückblicken gibt dem Weg durch dieses Bleistiftgebiet das Zeitmaß. Saumseligkeit, wie man es mit einem Handke-Wort nennen könnte.

Erst später hat er Notizbücher geführt

Wobei gleich ein erster Irrtum ausgeräumt werden muss, denn die meisten der an die Wand projizierten Seiten verdanken sich gar keinem Bleistift, sondern Kugelschreibern oder blauen, roten, grünen Filzstiften. Hier wird ein Satz aufgegriffen und versonnen hin und her gewendet. Dort steckt eine Einlage zwischen den Seiten: „Ich kann vieles liegen lassen, aber keine schönen Federn“, sagt Handke.


Vor 1975 habe er nie ein Tagebuch geführt. „Früher im Internat gab es diese Mode, aber in dieses Spiel habe ich nicht einsteigen können.“ Erst im Zusammenhang mit längeren Arbeiten sei er darauf gekommen, Notizbücher zu führen. Dabei sei manches nebenbei entstanden, aufgetaucht und wieder verschwunden wie eine Sternschnuppe. Aus dem Gefühl des Bedauerns habe er sich angewöhnt, diese Besonderheit, eine Sprachform, die es nur einmal gibt, festzuhalten: „Aus Erkenntlichkeit dem Existieren gegenüber habe ich meine Heftchen gezückt.“

Der Marienkäfer als Dialogpartner

Während der Jahre seiner Wanderschaft, vom Balkan nach Japan, von Alaska zurück nach Europa, reisten die Journale immer in der linken Hosentasche mit. Der Verlust eines von ihnen schmerzt noch heute. „Die Freundschaft umwandert den Erdkreis, stachelt uns an, zur Seligkeit zu erwachen“, übersetzt Handke einen griechisch notierten Sinnspruch von Epikur. „Vielleicht wollte ich mich auch wichtig machen, aber es kommen viele fremdsprachige Zitate vor.“ Neben Griechisch, Latein, Slowenisch auch noch auf Arabisch.


Wie Litaneien reiht Handke Ortsnamen aneinander. Manche reizvoll erratische Periode wird zur Erzählung weiterspintisiert. Andere bleiben für sich. In Berlin sprießen sie auf dem Weg von einer Straße zur anderen wie Pilze aus dem Boden: „Jeder Satz müsste ans Wunderbare grenzen (Gutenbergstraße)“, „es gibt die Sätze (Leibnizstraße)“, „ganz selten ein kleiner Schimmer von Ich (Wilmersdorferstraße)“. Erhabener Nonsens und Sinnspruch liegen bisweilen nur einen Schritt auseinander. Und dazwischen eine Szene wie diese: „Mein Dialogpartner von heute: ein Marienkäfer. Ich sitze in einem blauen Hemd auf der Gartenbank, schlage die Beine übers Kreuz, und der Marienkäfer ist rot und rundet sich.“

Eigentlich mag Handke gar keine Tagebücher

Handkes Sternschnuppensammlung unterscheidet sich von anderen Tagebüchern auch darin, dass Persönliches gänzlich fehlt: „Ich war nie in Versuchung, private Dinge aufzuschreiben“, sagt er. Dafür gewinnt man Einblick in das Intimleben der Sprache. An einer Stelle werden Verben bestimmten Substantiven zugesellt. Ein Verb für die Frau: „sie versteht“; ein Verb für die Musik Bachs: „das Zeitmaß geben“, ein Verb für die Erzählung: „sie greift ein“.



Alles bleibt in Bewegung, nichts ist in diesem schönen Durcheinander fest, auch die Begeisterung für das Tagebuch als solches nicht. Irgendwann verblüfft Handke seinen Dialogpartner mit der Bemerkung, er lese Tagebücher eigentlich gar nicht gern, ziehe das vollendete Werk dem bloß Gemachten vor. Und als er am Schluss erklärt, man solle sich davor hüten, durch Gesprochenes Leute zum Staunen bringen zu wollen, und damit den Sinn der ganzen Veranstaltung kurzerhand infrage stellt, bleibt seinem Gegenüber nur ein verdattertes: „Ja, genau“. So rundet sich ein denkwürdiger Abend. 

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.peter-handke-in-marbach-gesammelte-sternschnuppen.6f1af4be-21b9-4306-8789-67029229926c.html


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https://www.swr.de/swr2/kultur-info/literatur-deutsches-literaturarchiv-marbach-peter-handke/-/id=9597116/did=20486538/nid=9597116/1mch08g/index.html


Literaturarchiv Marbach erhält weitere Tagebücher von Peter HandkeMehr Nähe zu Handke geht nicht

Kultur Regional am 19.10.2017 von Christian Gampert

Schon heute liegen 66 Tagebücher von Peter Handke im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Über 10.000 Seiten aus den Jahren 1975 bis 1990. Sie gehören zu den meistbenutzten Handschriften des Archivs. Nun sind noch einmal 23.500 Seiten dazugekommen, denn Marbach hat auch die Notizbücher aus den Jahren 1990 bis 2015 erworben. Handke hat das handschriftliche Schreiben für sich entdeckt und sagt: "Es gibt keine Tätigkeit, die so gesellig ist, wie das Schreiben von Prosa". Ulrich von Bülow, der Leiter der Marbacher Handschriften-Abteilung, hat gemeinsam mit Handke in den Seiten der Tagebücher geblättert. Näher kann man Handke nicht kommen.

Zehntausende Seiten Peter Handke pur
Dauer
4:06 min
In Peter Handkes Tagebüchern geht es nicht um die Widrigkeiten des Alltags, Termine, persönliche Konflikte, die Liebe oder Politisches. Das Private kommt nicht vor, die Politik wirft höchstens einen fernen Schatten. Der Anspruch dieser Aufschriebe ist ein anderer. Handke nimmt seine Notizbücher mit auf Reisen und in die Natur. Er protokolliert, was er sieht und was ihm dazu einfällt – ein Phänomenologe.
Er reflektiert über seine Lektüren, er übersetzt aus dem Griechischen oder liest den "Don Quichotte" auf Spanisch. Er wendet Worte hin und her. Diese Kladden sind keine Werke an sich, aber sie ermöglichen einen Blick in die Werkstatt des Schriftstellers, in die Entstehungsprozesse von Literatur. Denn was hier notiert wird, ist oftmals Ausgangspunkt für einen Text. Handke sagt, er schreibe gern inzwischen von Hand. "Da kann ich überall hingehen, in die Natur, in die Steppe, in die Savanne."

Im Gespräch mit Marienkäfern

Im Deutschen Literaturarchiv waren nun 151 ganz unterschiedliche Notizbücher auf einem Konzertflügel aufgetürmt. In diesen Notaten bekommen die Beobachtungen des Alltags Flügel, und die Worte werden, wenn es gut geht, zu Poesie. Aber es sind eben viele Versuche notwendig, viele Selbstgespräche, Selbstkritik, Aufforderungen an sich selbst. "Empfänglich sein ist alles" lautet eine Maxime, die in Variationen immer wieder vorkommt. Immer neu formuliert Handke für sich ein elftes Gebot: "Freude machen" kann es heißen oder "Einmal am Tag ‚herrlich‘ ausrufen".
Nun könnte man sagen, dass es verrückt ist, wenn sich jemand einen Marienkäfer zum Dialogpartner wählt oder alte Namen auf französischen Friedhöfen notiert, nur weil ihm der Klang gefällt. Aber Handkes Arbeitsweise hat überhaupt nichts Esoterisches. Es geht ihm um die Dinge an sich: er will etwas festhalten und es überliefern. Es gibt, wie in seinen Romanen auch, einen gemeinsamen Raum zwischen Autor und Leser, und der liegt in konkreten, meist minimalen Beobachtungen, bei denen eine poetische Wahrheit aufgeht, weil sie das Universelle streifen. "Es gibt keine Tätigkeit, die so gesellig ist, wie das Schreiben von Prosa", meint Handke. Er sei dabei ganz nah dran an Gesellschaft und den Menschen.
Deutsches Literaturarchiv Marbach
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Buchenlaubrauschen statt Breaking News

In der Laptop-Welt der Breaking News und der wichtigen Koalitionsverhandlungen nimmt es sich natürlich seltsam aus, wenn einer "das Rauschen von Buchenlaub am Morgen" mit den Geräuschen anderer Baumarten vergleicht. Doch: Wenn alle Termine abgehakt, alle Meldungen gelesen, "Spiegel" und "ZEIT" durchgekaut sind: fühlt man sich dann nicht völlig leer und blöd im Kopf? Peter Handke nimmt sich die Zeit, die andere sich nicht nehmen. Er liest, schaut zu, schreibt. Alle leben unter Sachzwängen, aber jeder gestaltet sein Leben selbst. Es gibt keine Ausreden.
Peter Handke lebt im literarischen Denken. Er schreibt, während er wandert. Es ist ein Schreiben in Bewegung. Die Seiten sind voller Zeichnungen, zwischen ihnen liegen Blätter und Vogelfedern. Nun muss alles restauratorisch bearbeitet werden, die Bücher waren schließlich immer in der Hosentasche. Aber auch literarisch kommt uns da etwas sehr Altes entgegen, etwas, das zu bewahren sich lohnt.
Die kleine öffentliche Arbeitssitzung, die ein sehr aufgeräumter und selbstironischer Peter Handke mit Ulrich von Bülow, dem Leiter der Marbacher Handschriften-Abteilung, absolvierte, war äußerst unterhaltsam. Sie gab doch nur kleine Einblicke in das Riesen-Konvolut, das jetzt in Marbach aufgearbeitet werden muss. Für diese Arbeit gilt, was Handke von seinem Tagebuchschreiben selber sagt: Sie ist "eine schöne Notwendigkeit".










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